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Das entzauberte
Lächeln der Mona Lisa auf dem Multimedia-Monitor Ein digitaler Trip durch die Welt der Kunst: Vom Pariser Louvre bis in das Germanische Nationalmuseum Nürnberg Der geübte Besucher von Museen und Ausstellungshallen weiß, was für eine beschwerdefreie Kunstbetrachtung am wichtigsten ist: solides, bequemes Schuhwerk. Denn die Füße sind in all den alten und neuen Sammlungen der Welt mindestens ebenso gefordert wie das aufmerksame, unermüdliche Auge. Ob im Louvre, im Prado oder in der St. Petersburger Eremitage, ob in der Londoner Tate Gallery, der Stuttgarter Staatsgalerie oder im Germanischen Nationalmuseum zu Nürnberg - überall ist Kondition gefordert. Nicht selten sollte man für diese Expeditionen zur Kunst, für diese Fußmärsche durch Saal-Schluchten voller Bilder und Skulpturen gleich mehrere Tage einplanen. Ein hartes Stück Arbeit! Summende Kiste Doch es geht auch komfortabler. Schlappen an den Füßen, eine Tasse Kaffee neben mir, sitze ich am PC und übe den virtuellen Museumsbesuch. Nein, nicht - was ja inzwischen auch oft möglich ist - via Internet (Software und Modem fürs WWW schlummern ungenutzt in der summenden Kiste unter dem Tisch). Wobei an dieser Stelle noch ein Geständnis fällig ist: PC-mäßig bin ich ein Laie, kann gerade noch ROM und RAM auseinanderhalten und benutze den digitalen Zauberkasten in der Regel lediglich als bessere Schreibmaschine. Ja, ja, ich weiß: das ist ungefähr so, wie wenn man sich einen Porsche kauft, um dann doch immer nur den Motor anzulassen, ohne auch nur einen Meter zu fahren. Aber mir ist's ganz recht so - denn daß der PC auch eine heimtückische Zeitvernichtungs-maschine sein kann, habe ich bei gelegentlichen Ausflügen ins Reich der Lemminge oder nach Sim-City übernächtigt feststellen müssen. Nun also der erste digitale Trip zur Kunst per CD-ROM. Das Versuchsfeld wurde zur Premiere bewußt überschaubar gehalten. Aus der Flut der interaktiven Datenscheiben, dieser silbern glänzenden Hostien der multimedialen Glaubensgemeinde, wurden für den Test nur vier Exemplare ausgewählt. Wohl wissend, daß der Markt auch hier (neben all den Spielen, Ratgebern, Nachschlage- und Lebenshilfewerken) nichts ausläßt. Sogar im Bereich von Kunst und Kultur wird der User heute in einem Maße bedient, wie es sich die guten alten Enzyklopädisten, die Bildband- und Katalog-Macher vor einem Jahrzehnt nicht hätten träumen lassen. Die eher zufällige Auswahl stellt sich als Glücksgriff heraus. Alle vier CD-ROM-Editionen - eine schon etwas länger vorliegende von BMG Ariola Miller und drei aus der Diskus-Reihe des Münchner K.G. Saur Verlages - sind problemlos zu nutzen. Die Installation unter Windows 95 ist ein Kinderspiel. Und die Laufeigenschaften (System: 16 MB RAM, Pentium 75 MHz, 1 MB PCI-Grafik, 16 Bit Stereosound sowie 4 Speed CD-ROM) sind tadellos. Die Museumsvisite am Bildschirm kann also zügig starten. Ein multimediales Vergnügen ist die bereits mehrfach ausgezeichnete Ariola-Produktion "Le Louvre - Palast & Gemäldesammlungen". Der Streifzug durch die historischen Palast-Teile (Richelieu-Flügel, Sully-Bereich, Denon-Pavillon) bis hin zur gläsernen Pei-Pyramide unserer Tage ist mit allgemeinverständlichen Texten angereichert. Doch freilich wird nicht nur die acht Jahrhunderte umfassende Bau-Geschichte dieses neben Prado und Eremitage berühmtesten Museums der Welt skizziert. Mit 100 ausgesuchten Gemälden sind auch die Kunst-Highlights des Louvre zu besichtigen. Über den Index oder entlang einer Zeitleiste kann man sich zu den Größen der europäischen Kunstgeschichte und ihren Werken klicken: Von Watteau zu Géricault, von Raffael zu Tiepolo, von Rubens zu Rembrandt. Und bei Leonardos "Mona Lisa" lassen sich Lächeln und Komposition mit der Mouse detailliert erforschen. Dazu gibt's eine Fülle nützlicher Informationen, die sich jedoch - einziges Manko dieser Edition - nicht ausdrucken lassen. Bei den CD-ROM-Publikationen des Saur Verlages verzichtet man aufs Multimedia-Entertainment. Die Diskus-Reihe (Digitales Informationssystem für Kunst- und Sozialgeschichte) legt statt dessen mehr Wert auf wissenschaftliche Kompetenz und Sorgfalt. Im Test hier der digitale Blick auf den Gemälde- und Skulpturenbestand des Kölner Wallraf-Richartz-Museums sowie Teile der Graphischen Sammlung des Germanischen Nationalmuseums (GNM). Die GNM-Graphik-Schätze liegen in zwei Editionen vor: "Politische Allegorien und Satiren" vom späten 15. bis ins 19. Jahrhundert und "Gedruckte Porträts 1500-1618". Alle drei CD-ROMs zeichnen sich durch eine auch dem Laien schlüssige Gliederung aus, dürften jedoch allein schon wegen des relativ hohen Preises (je 148 Mark) eher für ein spezielles Fachpublikum von Interesse sein. Die Benutzeroberfläche ist logisch und unkompliziert strukturiert und erlaubt es, sich der Kunst mit System zu nähern. Das Hauptmenü gliedert sich in Objekte, Themen, Künstler, Ort und Zeit. Detaillierter kann man beispielsweise auch auswählen nach Technik, dargestelltem Motiv, Werkstätten und Auftraggebern. Und das alles läßt sich zumeist problemlos ausdrucken (sogar die Abbildungen, was jedoch bei den Datenmengen oft seine Zeit braucht). Fülle des Angebots Wie überhaupt auch diese Form des "Museumsbesuches" sich als zeitintensives Unterfangen herausstellt. Die Bestands-CD-ROM des Wallraf-Richartz-Museums umfaßt immerhin gut 2500 Abbildungen. Ebenso viele Werke dokumentiert die Scheibe der gezeichneten Satiren aus dem GNM (dessen Graphik-Sammlung übrigens insgesamt etwa 30 000 Blätter zählt). Und die GNM-CD mit den graphischen Porträts (darunter Werke von Dürer und Cranach) birgt gar rund 3000 Abbildungen. Wer da nicht gezielt sucht oder systematisch vorgeht, der verirrt sich rasch in der Fülle des Angebots. Aber das ist ja in den großen realen Museen oft nicht anders. Nur: Das sinnliche Erlebnis einer Wanderung durch Säle und Galerien, das staunende Schauen vor dem Original oder selbst noch das versonnene Blättern in Katalogen und Bildbänden - dies alles kann die elektronische Exkursion in den Kosmos der Kunst nicht leisten. Das Lächeln der Mona Lisa auf dem Monitor hat keinen Zauber. Die Welt der Kultur auf CD-ROM oder im Internet - das ist eine zwangsläufige und unter manchen Aspekten auch sinnvolle Konsequenz der sogenannten Informationsgesellschaft. Das unmittelbare, authentische Erleben (nicht nur der Kunst!) wird nie zu ersetzen sein. Da sollte man sich die nächste Investition gut überlegen: Eine dünne Daten-Disk oder vielleicht doch lieber ein gutes, bequemes Paar Schuhe. MICHAEL BECKER |
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