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Posse um "Kriegswaffe für Sofahocker"

USA: Wegen seiner Verschlüsselungscodes fällt ein Internet-TV-Gerät unter das Kriegswaffenkontrollgesetz - Export nur mit Lizenz

Ein Kassenschlager der nordamerikanischen Elektronikgeschäfte im aktuellen Vorweihnachtsgeschäft, ein Internet-TV-Gerät für rund 300 Dollar, fällt nach Ansicht der US-Regierung in Washington unter das Kriegswaffenkontrollgesetz. Die Set-Top-Box, mit der Fernsehgeräte in den USA mit dem weltumspannenden Computernetzwerk Internet verbunden werden können, benutzt nämlich Verschlüsselungstechnologien, die nach dem Willen der Clinton-Regierung wie Kriegsgerät überwacht werden müssen. Danach kann das "Web TV"-Gerät nicht ohne eine besondere Lizenz exportiert werden, auch nicht in befreundete Nato-Staaten in Europa oder nach Japan.

Die Posse um die "Kriegswaffe für Sofa-Hocker" heizt in den USA die öffentliche Diskussion an, ob die US-Reglementierungen noch zeitgemäß sind. In den Zeiten des kalten Krieges haben sich nicht nur in den USA vor allem die Militärs für Verschlüsselungsalgorithmen interessiert. Mit deren Hilfe sollten wichtige Botschaften sicher übertragen werden, der Gegner sollte keine Chance haben, eine eventuell abgefangene Nachricht zu entschlüsseln.

Gleichzeitig regulierten die USA - wie andere Länder auch - den Einsatz von Verschlüsselungstechnologien durch Privatpersonen und Unternehmen. Somit sollte verhindert werden, daß irgend jemand Daten so gut verschlüsselt, daß selbst das Militär oder der Geheimdienst den Code nicht mehr knacken können. Terroristen oder Kriminelle sollten keine Möglichkeit haben, ihre Kommunikation mit Hilfe von Verschlüsselungstechnologien dauerhaft vor den Sicherheitsbehörden zu verbergen, lautet das Standard-Argument aus dem Weißen Haus.

Clipper-Chip geknackt

Bereits die Administration unter US-Präsident Ronald Reagan hatte die Sicherheitsbehörde "National Security Agency" (NSA) beauftragt, einen sogenannten Clipper-Chip zu entwickeln, mit dem Privatpersonen und Geschäftsleute ihre Daten verschlüsseln können. Das Clipper-Projekt sieht allerdings vor, daß die Sicherheitsbehörden einen Universalschlüssel in der Hinterhand haben sollen, mit dem sie im Notfall die Daten wieder dechiffrieren können.

Das von der Clinton-Regierung fortgesetzte und mehrfach veränderte Konzept konnte sich allerdings bislang nicht durchsetzen. So hatten Hacker mehrfach demonstriert, daß der Clipper-Chip auch ohne offiziellen Universalschlüssel zu knacken ist.

Die US-Regierung erlaubt derzeit den Export von Verschlüsselungstechniken, die mit einem höchstens 40 Zeichen (Bit) langen Code arbeiten. Computer-Fachleute, die auf halbwegs leistungsstarke Großrechner zugreifen können, kann ein 40-Bit-Schlüssel allerdings nicht lange aufhalten. In dem in den USA produzierten "Web TV"-Adapter von Sony und Philips Electronics wird die persönliche elektronische Post (E-Mail) mit einem 128 Zeichen langen Code verschlüsselt. So soll zum einen verhindert werden, daß jemand die private Post unbefugt mitlesen kann. Die 128-Bit-Codierung wird aber auch zur Absicherung von Transaktionen eingesetzt, wenn die "Web TV"-Kunden über das Internet Waren bestellen oder sensible Finanzinformationen übertragen.

Der Schutz der 128-Bit-Codierung ist so gut, daß sich auch die Experten des CIA mit ihren Mega-Computern vergeblich die Zähne daran ausbeißen. Deshalb steht der "Web TV"-Decoder auch auf der Export-Verbotsliste.

Widerstand regt sich

In der amerikanischen Computerindustrie regt sich inzwischen Widerstand gegen die Washingtoner Verschlüsselungspolitik. "Die Zukunft des Handels im Internet hängt vom Einsatz wirkungsvoller Verschlüsselungstechniken ab", mahnte der Mitbegründer der Firma Netscape, Marc Andreessen, die Clinton-Regierung. Auch Microsoft-Chef Bill Gates machte sich für eine Lockerung der Bestimmungen stark, damit langfristig nicht Exporte der amerikanischen Softwareindustrie gefährdet werden.

CHRISTOPH DERNBACH (dpa)

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