zurück

Märchenstunde auf CD-ROM

Der größte Teil der Informationen, denen wir begegnen, wird immer noch als Schallwelle und optisches Signal übertragen. Im Zeitalter von Multimedia dienen aber immer öfter Bits und Bytes als Transportmittel. Sie ersetzten mit ihren vielfältigen Aufbereitungsmöglichkeiten die herkömmlichen Medien.

Die Digitalisierungswelle erfaßte zuerst Nachschlagewerke und Telefonbücher und machte auch vor anspruchsvoller Literatur nicht halt. Von Bertelsmann bis Langenscheidt, über Rossipaul bis hin zu Ullstein beteiligen sich angesehene Verlage und Publisher am lockenden Geschäft, bei dem 1996 nach Expertenschätzung rund 1,2 Milliarden Mark in Deutschland umgesetzt werden. Mit knapp 17 Prozent Marktanteil führen dabei Ratgeber-Titel, dicht gefolgt von Reiseführern (15 Prozent) und Sprachtrainern (rund 14 Prozent).

Die Titelflut der letzten Jahre und die oft erschreckend schlechte Qualität der Programme haben dem Image der CD-ROM jedoch schwer geschadet. Was auf Papier paßt, hat auf einer CD-ROM nichts verloren, heißt deshalb heute das oberste Gebot bei der Produktion digitaler Bücher. Die Übertragung von Papier auf die Silberscheibe muß für den Leser einen Zusatznutzen (Interaktivität, Zugriffstempo, Querverweise) bringen, der die Nachteile ausgleicht. Denn schließlich läßt sich eine CD nicht jederzeit und überall lesen, wenn man keinen tragbaren Rechner hat, und Beschränkungen der Grafikauflösungen vermindern die Qualität der Abbildungen erheblich.

Die neuen, "runden Bücher" sind in der Regel allenfalls Ergänzung, im seltensten Fall Ersatz für ein gedrucktes Buch. Elektronische Publikationen werden heute bevorzugt im Lernbereich und beim sogenannten "Computer Based Training" eingesetzt. Dort, wo interaktive und multimediale Möglichkeiten den Ausschlag geben, verdrängt die Silberscheibe das Papier.

Aber auch bei Multimedia-Titeln, die die Phantasie des Betrachters anregen, kommt die CD-ROM zu Recht zum Einsatz. So entdeckt etwa Ravensburger Interactive Media mit dem "Buch von Lulu" die alte Kunst des Geschichten-Erzählens neu. Am Anfang scheint es ein ganz gewöhnliches Buch zu sein, das auf dem Computer-Monitor erscheint. Doch plötzlich beginnen die wunderschön gezeichneten Illustrationen per Mausklick eigenes Leben zu entwickeln.

Alles fängt damit an, daß ein metallisch glänzender Roboter vom fernen Planeten Solus im Schloßgarten der Prinzessin Lulu landet. Die Begegnung der zwei sehr unterschiedlichen Welten hält spannende Geschichten und eine Menge Überraschungen bereit.

Seite für Seite läßt sich das moderne Märchen per Mausklick auf die unteren Buchecken durchblättern. Der Zuhörer und Mitleser kann zu jeder Zeit interaktiv in die Geschichte eingreifen, in der sich rund 700 Animationen und 150 Filme im Quick-Time-Format verbergen. Jede Textstelle und Abbildung kann eine Überraschung enthalten, die durch einfaches Anklicken zu entdecken ist.

Die Geschichte kann auf zweierlei Weise miterlebt werden; als reines Leseabenteuer oder von Fall zu Fall als Kombination von Text und Filmelementen. Das strikte Prinzip der linearen Handlung wird dabei an keiner Stelle unterbrochen, denn nach einem Film findet sich der Leser einfach ein paar Seiten weiter an der richtigen Stelle wieder.

Mehrfach preisgekrönt

Über vier Jahre hat der französische Autor Roman Victor-Pujebet an der Realisierung des Projekts gearbeitet, mit dem er eigentlich seiner kleinen Tochter das Lesenlernen leichter machen wollte. Nach ersten kleinen Geschichten folgte der ehrgeizige Titel "Lulu", der inzwischen mehrfach preisgekrönt ist und in über zwanzig Sprachen weltweit Kinder und Erwachsene verzaubert.

Obwohl die CD-ROM "Lulu", die auf jedem 486er PC läuft, noch längst nicht alle Möglichkeiten des Mediums vollständig ausreizt, ist die Umsetzung des Stoffes wirklich geglückt. Sie zeigt, welches erzählerische Potential in einer Computer-Anwendung stecken kann.

REINER CIBULKA

zurück