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Ein guter Platz im Keller Erwin Dorbert gehört zu den wenigen Menschen, die frohlocken, wenn sie das Wort Tiefausläufer hören. Trübe Aussichten fürs Wochenende sind für ihn allemal gute Aussichten. Und ein total verregneter kalter Sommer ist so schön wie ein kleiner Lottogewinn. Nun ist Dorbert kein Pollenallergiker, sondern nur ein Wirt, der im tiefen Keller haust, wohin sich kein Sonnenstrahl verirrt. Ein schattiges Plätzchen aber suchen die Leute zur schönen Sommerszeit lieber unter der Kastanie als in der Gruft. Erschwerend kommt für Dorbert hinzu, daß ihn die Nürnberger nur besuchen, wenn sie auswärtigen Gästen das Kellerlokal zeigen wollen. Der Nassauer Keller nämlich ist sehenswert, eine Attraktion, ein Stück Alt-Nürnberg und darum ein typisches Touristen-Lokal. Deshalb gibt es hier auch die typischen Speisen, Franconian Specialities, also Hausmannskost auf deutsch und englisch. Und weil der Einheimische daheim nicht Tourist spielen will, hat mancher noch nie das Restaurant im einzig erhaltenen Turmhaus der inneren Stadtmauer von Nürnberg gesehen. Wir haben dem Wetterbericht geglaubt (kräftige Regenschauer), sitzen im tiefen Grund, während draußen die Sonne vom Himmel lacht und bereuen nicht. Es ist Mittag und wir probieren von der Tageskarte nur die Hauptgerichte Lammhüfte vom Grill mit Böhnchen (18,50 Mark) und Hähnchenbrustfilet mit Reis (14,50 Mark), die tadellos zubereitet sind. Die große Karte bietet natürlich mehr, bekannt Fränkisches, aber auch Zwetschgenbames, Wilddieb- und Ratsherrenpfanne - Tradition verpflichtet. Hübsch hockt man hier unterm hohen Gewölbe, in dem riesige Kessel hängen; ein paar Rüstungen in den Ecken, Bilder von Nürnberg an den Wänden, ansonsten ist das schöne Stein-Ambiente belassen und nicht zugeholzt oder zudekort nach alter fränkischer Gastro-Sitte. Erbaut im 12. Jahrhundert diente das Nassauer Haus (gegenüber der Westfassade von St. Lorenz) ursprünglich als Ministerialsitz, später als Patrizierhaus. Um 1900 entstand im tiefen Kellergeschoß, das Weinrestaurant. Wir haben einen guten Platz mit Blick zur Treppe. Was wir tun, ist sicherlich nicht fein, aber höchst amüsant: Wir beobachten die Leute, wie sie breitbeinig und gekrümmt die steilen Stufen im niedrigen Einstieg heruntertapsen. Unten angekommen, verhalten sie einen Moment wie benommen und reißen die Augen auf. Manche merken erst spät, daß es auch an der Sonnenbrille liegen kann, daß sie nichts sehen. Uns gefällt's hier, und schon überlegen wir, ob man nicht das eine oder andere Töpfchen von der Karte streichen und ein bißchen was verändern sollte. Aber nein, meint Dorbert, der das Lokal vor knapp zehn Jahren gepachtet hat; Experimente fürchtet er noch mehr als Hundstage. Er muß den Leuten vorsetzen, was sie erwarten. Da muß die Forelle Müllerin auf den Tisch und keine Lotte, statt Grappa gibt es heimischen Trester, und natürlich muß der Wein aus Franken stammen. Es kommt wieder ein Gast, wir sehen Sandalen, Männerbeine in Bermudas, dann Shirt mit Kamera, den abgeknickten Kopf. Ein Amerikaner. Er will nur einen Look nehmen, aber das dauert, bis er das kann. KERSTIN MÖLLER Weinrestaurant Der
Nassauer Keller, Nürnberg, Karolinenstraße 2-4
(bei der Lorenzkirche), Telefon 0911/22 |
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