Opfer: männlich, Täter: weiblich23 Prozent aller Gewalttaten werden von Frauen verübtÜber Gewalttaten ist in den Zeitungen täglich zu lesen. Berichte über Schlägereien Messerstechereien, Totschlag, Vergewaltigung und Mord sorgen für Spannung und sind vor allem in nachrichtenarmen Zeiten als Lückenfüller beliebt. Doch obwohl die Medien über tatsächliche Ereignisse informieren, vermitteln sie oft kein realistisches Bild von den Gewaltverbrechen. Eine am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung der Hochschule für Musik und Theater in Hannover durchgeführte Studie zum Thema "Frauen und Gewalt in der Berichterstattung der örtlichen Tagespresse" zeigt, daß zwischen Berichterstattung und polizeilicher Kriminalstatistik große Unterschiede bestehen. Für die Studie - die erste dieser Art in der Bundesrepublik - wurden drei hannoversche Zeitungen sowie die örtlichen Polizeistatistiken ausgewertet. 60 Prozent sind männlich "Weibliche Opfer sind in der Berichterstattung überrepräsentiert, männliche Opfer sind unterrepräsentiert", faßt die Projektleiterin Dr. Romy Fröhlich eines der markantesten Ergebnisse der Untersuchung zusammen. Dadurch entsteht der Eindruck, daß Frauen besonders gefährdet sind. Dieser Eindruck trügt jedoch: Laut Polizeistatistik sind Männer in 60 Prozent der Fälle Opfer von Gewalttaten! Das "typische weibliche Opfer" in der Berichterstattung ist jedoch nicht, wie amerikanische Studien vermuten lassen, jung, sondern Rentnerin. Über junge Frauen als Opfer von Gewalttaten wird in den hannoverschen Zeitungen relativ selten berichtet: Während in der Polizeistatistik mehr als ein Viertel aller weiblichen Opfer von Gewalttaten jünger als 20 Jahre ist, erreicht diese Altersgruppe in den Zeitungsartikeln lediglich einen Anteil von 14 Prozent. Weitaus häufiger wird über ältere Frauen berichtet, die Opfer einer Gewalttat wurden: Obwohl nur 18 Prozent der weiblichen Opfer älter als 60 Jahre sind, liegt ihr Anteil in der Berichterstattung bei 41 Prozent! Auch der Anteil der älteren männlichen Opfer ist in den Medien höher als in der Realität. Als Täterin keine Thema Daß die Berichterstattung nicht ohne Einfluß auf das Verhalten bleibt, läßt eine andere hannoversche Studie, die das Ausgehverhalten von Rentnerinnen untersucht, vermuten. Sie belegt, daß Frauen über 60 Jahre nach Einbruch der Dunkelheit nur selten an Veranstaltungen teilnehmen. Sie bleiben aus Angst vor Übergriffen lieber zu Hause. Während Frauen als Opfer nach wie vor einen hohen Nachrichtenwert haben, sind sie als Täterinnen kaum ein Thema. Der Polizeistatistik zufolge werden immerhin 23 Prozent aller Gewalttaten von Frauen verübt; in der Berichterstattung liegt der Anteil der Täterinnen bei nur neun Prozent. Dagegen sind Männer als Täter in den Zeitungsberichten überrepräsentiert. Der "typische Täter" in der Berichterstattung ist eher alt; über Gewalttaten junger Männer wird vergleichsweise selten geschrieben. "Ihre Taten sind vermutlich zu wenig spektakulär", nennt Dr. Romy Fröhlich einen möglichen Grund für das unerwartete Ergebnis der Studie. Die Täterinnen, über die in den Tageszeitungen berichtet wird, sind dagegen eher jung. Obwohl immerhin 13 Prozent aller Opfer von Gewaltdelikten in Hannover Opfer eines Sexualdeliktes sind, schreiben die Tageszeitungen nach Angaben Dr. Fröhlichs erstaunlich selten über diese Verbrechen. Männliche Opfer und weibliche Täterinnen kommen bei Sexualdelikten in den Presseberichten überhaupt nicht vor. Laut Polizeistatistik ist jedoch immerhin etwa jedes fünfte Opfer männlich und etwa jeder 10. Täter weiblich. "Oft hält die Polizei Informationen über diese Sexualdelikte zurück", weiß Dr. Romy Fröhlich aus Gesprächen mit Journalistinnen, Journalisten und der Polizei. Zurückhaltung erwünscht Diese Zurückhaltung ist aus Sicht der Opfer sicher wünschenswert. "Es ist für die Opfer schrecklich, wenn sie sich in der Zeitung wiederfinden", räumt die Projektleiterin ein. Selbst wenn ihr Name nicht genannt wird, lassen sich die Opfer oft leicht identifizieren. Andererseits kann bei den Leserinnen und Lesern der Eindruck entstehen, daß Sexualstraftaten nur selten vorkommen, weil darüber nur selten berichtet wird. Daher ist es wichtig, daß das Problem immer wieder bewußt, das heißt öffentlich gemacht wird. Die inhaltliche Analyse zeigt, daß Sexualdelikte nach wie vor verniedlicht werden. Vor allem in der Boulevardpresse werden die Vergewaltiger als "Sexgangster" bezeichnet, die Opfer wurden "zum Sex gezwungen". "Die Bezeichnung ,Vergewaltiger` oder ,Vergewaltigungstäter` fanden wir im gesamten Sample nicht ein einziges Mal", kritisiert Dr. Romy Fröhlich. Auch über die Angst oder die seelischen Verletzungen der Opfer wird bei Sexualstraftaten, anders als bei Körperverletzungen, recht selten berichtet. |