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Der Ruf Gottes, oder: Warum
junge Frauen einem Orden beitreten

Wenn eine Klosterschwester mit dem Bahnbus fährt, passiert schon mal Erstaunliches: „Kommt ein Mann in den Bus rein, erkennt einen als Ordensfrau, und hat gleich ein schlechtes Gewissen: Er habe schon so lange nicht mehr gebeichtet. Nicht nur, daß dann viele sofort anfangen, ihre Lebensgeschichte zu erzählen“, erklärt Schwester Blandine aus dem oberpfälzischen Kloster Auerbach. „Häufig denken die Leute, alle Schwestern seien automatisch Krankenschwestern und erzählen deshalb ihre Krankheiten gleich noch dazu.“

Provinzoberin Schwester Blandine lacht gerne, ohne es dem Gespräch an Ernst fehlen zu lassen. „Wir stoßen eigentlich auf recht großes Vertrauen in der Welt“, sagt sie. Das Auerbacher Mutterhaus der „Schulschwestern von Unserer Lieben Frau“ erfährt nicht nur Zuspruch aus der Bevölkerung, auch relativ hohe Beitrittszahlen kann die katholische Kongregation verbuchen. So entschieden sich auch in diesem Jahr wieder drei junge Frauen für die „Einkleidung“ und befinden sich damit im „Noviziat“. Fünf Frauen, die bereits zwei Jahre lang den weißen Novizinnen-Schleier getragen hatten, legten ihr Gelöbnis auf die Ordensregeln für drei Jahre ab. Drei weitere Schwestern gelobten, auf Lebenszeit der Kongregation treu zu bleiben. Eine erstaunliche Entscheidung?

Mit einem Beispiel aus dem Alltag versucht die 32jährige Schwester Martina ihren Schritt zu erklären: „Vielleicht ist es wie bei einem verliebten Paar. Da fragt auch keiner, warum man sich mag. Man spürt es einfach.“ Obwohl sie aus einer religiösen Familie stamme, sei sie lange Zeit nicht auf die Idee gekommen, ins Kloster zu gehen. „Ich wollte einfach leben“, erzählt die gebürtige Österreicherin. „Erst mit etwa 25 Jahren wurde mir klar, daß Gott mir wichtiger war als Tanz, Musik und meine geliebten Berge.“

Mit ihrem Bedürfnis nach einem Lebensideal erging es Schwester Martina nicht anders als Alexia le Clerc 400 Jahre früher. Bevor die lothringische Ordensgründerin gemeinsam mit Pierre Fourier die religöse Gemeinschaft „de Notre Dame“ ins Leben rief, hatte sie andere Interessen. Eine Chronik beschreibt sie mit den Worten: „Das lebensfrohe Mädchen mit angenehmen Umgangsformen und anziehendem Äußeren liebt Musik, Tanz und schöne Kleider, vermißt jedoch etwas in ihrem tändelnden Leben: die große Aufgabe.“ Mit einem Novum gelang es Alexia le Clerc, ihr Leben schließlich auszufüllen: Sie gründete 1598 eine Mädchenschule. Die Lehranstalt hob sich von anderen dadurch ab, daß sie öffentlich war und kein Schulgeld erhob. Doch nicht nur das: Außergewöhnlich war auch, daß die unterrichtenden Schwestern ihre Klausur verließen. Eine Tradition, nach der auch die seit 1946 in Auerbach ansässige Schwesternschaft lebt. Im Gegensatz zu sogenannten „beschaulichen Orden“ verlassen die Schulschwestern täglich ihr gelb gestrichenes Kloster mit seinen dicken Wänden, um „weltlichen Berufen“ nachzugehen. So arbeiten sie als Lehrerinnen, als Verwaltungsangestellte, in der Landwirtschaft oder im sozialen Bereich.

Trotz ihrer Teilnahme am modernen weltlichen Leben orientieren sich die 110 Auerbacher Klosterfrauen nach wie vor an den Richtlinien des Evangeliums. Keuschheit, Gehorsam, Armut, Streben nach der vollkommenen Liebe – und das alles gegen Ende des 20. Jahrhunderts? Die Schwestern sprechen in diesem Zusammenhang immer wieder von Freiheit. „Es ist unsere freie Entscheidung, diesen Weg einzuschlagen.“ Natürlich setzt jeder Beschluß die Diskussion um Alternativen voraus: Ob sie nicht im weltlichen Leben, als Mutter zum Beispiel, ebenso ihr christliche „Aufgabe“ erfüllen könnten. „Wir verurteilen niemanden“, sagt Schwester Martina, „und schon gar nicht die Ehe. Aber Gott hat uns zu etwas anderem berufen.“ In gewisser Weise gleiche das Gelübde einer Klosterfrau dem Ja-Wort bei einer Hochzeit: Ein Ring wird entgegengenommen, ein Brautkranz aufgesetzt, und Christus ist der Bräutigam. Schwester Martina sieht ihr Leben geprägt von einer „lebendigen Liebesbeziehung“ zu Gott.

Dennoch besteht der Alltag im Kloster aus Entbehrungen. „Gerade die Musik habe ich anfangs sehr vermißt“, erinnert sich Schwester Martina. Es sei zwar nicht viel verboten, auch Musik dürfe man prinzipiell hören. „Doch es fehlt oft die Zeit dazu.“ Mit einem weiteren Gedanken stellt Schwester Martina einen der Kernpunkte klösterlichen Lebens heraus: „Auf Erlaubtes zu verzichten, kann bedeuten, auf einem der schönsten Wege in den Himmel zu sein.“ Sie sagt es, und blickt dabei ziemlich glücklich unter ihrem Schleier hervor.

„Orden, von Ordnung“ kommend, ist für viele Schwestern das Ergebnis einer Auseinandersetzung mit dem Leben und seinen Grenzbereichen. „Bei mir war es der Tod einer Tante“, so Schwester Theresia, „der viel ausgelöst hat.“ Außerdem verhalf die Lektüre einer Biographie zur Entscheidung: „Die Lebensgeschichte der hl. Rita von Caskia.“ Davon fühlte sie sich in ihrem Innersten „angesprochen“. Weltlich betrachtet wirkt sie als Schwester auch äußerlich durchaus ansprechend. Zumindest straft sie dem Vorurteil Lüge, wonach nur die Häßlichen ins Kloster gingen. Doch solche Gedanken haben im geistlichen Ideal keine ausschlaggebende Bedeutung.

„Man muß mit vielem brechen“, meint auch die 21jährige Schwester Marion. Bevor sie Ende August mit dem weißen Schleier als Novizin eingekleidet wurde, durfte sie die Vorstufen des Klosterlebens kennenlernen. Erst als Aspirantin, dann als Kandidatin, schließlich als Postulantin. Die Kongregation fordert, daß vor der Aufnahme in die Gemeinschaft Jahre des Herantastens und der Selbstprüfung stehen. „Der Ruf Gottes ist da, es liegt an jedem selbst, sich zu entscheiden“, meint Schwester Marion. Womit „Innere Kämpfe“ auch nach dem Gelübde nicht ausgeschlossen sind. Allerdings verlassen nur selten Frauen nach Jahren im Kloster die Kongregation.

Einer Vorstellung widerspricht Provinzoberin Schwester Blandine vehement: „Das Klosterleben ist keine Weltflucht. Es geht bis an die Substanz.“ Gerade im Kloster werde die Welt – weil im Gebet – sehr intensiv verarbeitet. „Die katholische Lehre mag eine Lebensweise verfechten, die nicht mehr zeitgemäß erscheint. Aber sie beinhaltet seit 2000 Jahren Werte, die darauf zielen, Menschen glücklich zu machen.“ Bei allem Eingeständnis der Fehlbarkeit führt Schwester Blandine an: „Würden mehr Menschen die Zehn Gebote befolgen, wären viele der heutigen Gesetze überflüssig.“ Wie idealistisch ist das gesprochen? „Man kann es einer Ordensfrau doch nicht nehmen, Ideale zu haben“, antwortet die Provinzoberin, ohne mit der Wimper zu zucken. Christian Mückl

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