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Man schrieb das Jahr 1992, als eine Band aus Los Angeles eine neue Welle in der Musikwelt lostrat. Zwischen Rap und Hard Rock entwickelte sich der Crossover zur Sturmflut. Rage Against The Machine verkauften nicht nur Millionen CD's von ihrem ersten Album, sondern forderten auch einen Generationenkonflikt in den USA heraus. Die Liedtexte waren ungewohnt direkt und hoch politisch. Mit "Killing in the Name" schufen Rage Against The Machine eine Hymne, die die Beteiligung aller an der Macht forderte.

Die Jugendlichen in den USA horchten auf. "Wir müssen die Macht zurückholen" und "Keine Lüwgen mehr" waren die zentralen Aussagen. Doch Rage setzten sich in ihren Songs auch für Minderheiten und Verfolgte ein.

"Freedom" war dem inhaftierten indianischen Freiheitskämpfer Leonard Peltier gewidmet, einem Mann, der für viele in den USA als Sinnbild eines politisch Verfolgten steht. Und auch Für das zweite Album "Evil Empire" kamen Rage Against The Machine auf direktem Weg zu ihrer Aussage. Schon Monate vor der Veröffentlichung wurden die Straßen der amerikanischen Großstädte mit Plakaten zugepflastert, auf denen Chiapas Rebellen abgebildet waren. Darüber stand, als Anspielung auf den Werbeslogan der US-Army, "We support our troops". Vor wenigen Tagen dann der Höhepunkt des politischen Engagements der Band.

Mit einer US-weit ausgestrahlten eigenen Radiosendung, "Radio Free LA", schafften sich Rage Against The Machine ein ungewöhnliches Publikum. Viele Radiostationen in den USA sind miteinander verbunden und senden ausgewählte Sendungen werbefrei. Auch die Rockgruppe Pearl Jam hatte diese Möglichkeit schon mit ihrem Piratensender "Self Pollution Radio" genutzt.

Doch nun waren RATM an der Reihe. Gitarrist Tom Morello spielte den Moderator in einem ungewöhnlichen Programm. Der führende amerikanische Intellektuelle und Zeitkritiker Noam Chomsky wurde telefonisch zu Fragen der gegenwärtigen Politik interviewt. Und auch Leonard Peltier kam per Telefon auf "Radio Free LA" zu Wort. Peltier berichtete von den Forderungen der indianischen Bewegung in den USA, der Unterdrückung und der Not in den Reservaten. Danach wurde ein Brief des zum Tode verurteilten schwarzen Journalisten Mumia Abu-Jamal verlesen, der Rage Against The Machine dafür dankte, daß die Band trotz Anfeindungen sich noch immer öffentlich für Gleichberechtigung und gegen Unterdrückung einsetze. Rage Sänger Zack De La Rocha berichtete anschließend von dem Freiheitskampf der Chiapas Rebellen in Mexiko, und befragte dazu einen Führer der Gruppe.

Zwischen den Interviews spielten Rage Against The Machine Songs ihrer beiden CD's. Die Band spielte und sendete aus einem kleinen Studio in LA, was das ganze noch mehr zu einem ungewöhnlichen Radioereignis werden ließ. In einer Stellungnahme der Band heißt es: "Radio Free LA möchte das Bindeglied zwischen alternativer Musik und alternativen politischen Perspektiven sein... Wir werden in dieser Sendung auch Musik spielen und hoffen dadurch, mit unserem Programm Hörer zu erreichen, die normalerweise überhaupt kein Interesse an Politik haben." Gerade diese Abwechlsung machte "Radio Free LA" zu einem Hörgenuß im amerikanischen Radio-Einheitsbrei und zu einem Hoffnungsschimmer in einer größtenteils unpolitischen Gesellschaft.

Es gibt Bands, bei denen fragt man sich, wie sie beeinflusst wurden. Cake (Bild links) ist eine davon. Die fuenf Musiker aus dem kalifornischen Sacramento legen mit "Fashion Nugget" ein aberwitziges und vielseitiges Album vor. Von schrägen Klängen ueber lautstarke Gitarrenriffs bis zu einer angelaschten Version des Gloria Gaynor Hits "I will survive" aus dem Jahr 1979, ist alles auf dieser Platte enthalten. Cake spielen mit Widersprüchen in ihren Liedern. Darauf zielen sie ab. "Fashion Nugget" ist ein Wechselbad der Gefuehle, der Stimmungen, der Melodien, der musikalischen Moeglichkeiten.

Ein ruhiger Song wird plötzlich von lautstarken Trompeten unterlegt, das ist normal für Cake. John McCrea, Cakes Sänger, sagt denn auch, "Ein guter Song ist wie eine Träne im Auge eines preisgekrönten Pudels auf einer Weltklassehundeshow. Genau so sind die Lieder, die ich mag. Es ist egal, welche Stimmung sie verkörpern, solange nur diese Spannung da ist, dieses Anziehen von Gegensätzen. Auch der traurigste Moment im Leben hat seine komische Seite, obwohl wir die in der Regel ignorieren." Cake sind genau das, mal Country, mal Rock, mal Hip Hop, mal Jazz. Ihr Hit "The Distance" ist alles andere als ein typischer Sound auf "Fashion Nugget". Reinhören lohnt sich, denn bei Cake findet wirklich jeder etwas.
Cake - "Fashion Nugget" - Capricorn Records

AC/DC sind die ungekrönten Könige des lautstarken Rock'n Roll. Seit Jahrzehnten beeinflussen die Jungs aus Australien Generationen von Musikern . Heerscharen von Fans haben auf Schulparties mit Angus Young im Duett ihre Luftgitarre gespielt. Und nun bekommen AC/DC auch noch zu Lebzeiten ein Tribute Album zuerkannt. Aber so recht mit normalen Dingen geht es nicht zu, denn die Bands, die auf "Covered in Black" vertreten sind und die zahlreichen AC/DC-Hits spielen, kommen alle aus dem Industrial Genre. Doch wer nun denkt, es gehe auf dieser Platte nur brachial und lautstark zu, der wird verwundert sein. Sicherlich, die deutschen Überväter dieser Musikrichtung, Die Krupps, hämmern dem Hörer "It's a long way to the top" mit aller Gewalt in die Gehörgänge. Doch es gibt auch ganz andere Töne.

"Squealer" vom legendären "Dirty Deeds..."-Album wird von Genitortures und damit von einer Frau gesungen. Bon Scott hat sicherlich seine Freude da oben. Durchaus gelungen wurde der moderne Klassiker "Thunderstruck" von Birmingham 6 umgesetzt. Mit einem Discorhythmus beginnt der Song und steigert sich dann zu einem gewaltigen Groove. Wenn AC/DC jemals einen Dance-Mix davon veröffentlichen sollten, darf diese Version auf gar keinem Fall fehlen. Auf "Covered in Black" sind 14 Bands aus dem europäischen Raum und den USA vertreten. Ein Tribute-Album, das musikalisch abwechslungsreich und spannend ist, und schon lange ueberfällig war.

Vic Chesnutt kann nicht singen. Das steht auch mit seiner neuen CD "About to Choke" fest. Doch der Mann hat etwas in der Stimme, in seiner Musik, das den Hörer unweigerlich gefangen nimmt. Es erinnert ein bißchen an den alten Bob Dylan. Irgendwo zwischen Folk, Country und Rock muss er angegliedert werden, obwohl Chesnutt, wie Dylan, fuer sich alleine steht. Vic Chesnutt kommt mit minimalen Aufwand aus. Meist nutzt er nur seine Akustikgitarre, manchmal kommen Mundharmonika und Piano hinzu. Doch obwohl der Sound spartanisch ist, erfuellt Vic Chesnutt mit seinen Liedern den Raum. Es macht einfach Spaß diesem Mann mit seinen Melodien und den kleinen Geschichten zuzuhören. Nach seiner letztjährigen brillanten Veröffentlichung unter dem Bandnamen "Brute" dachte man schon, Vic Chesnutt wuerde in einem komplexen Sound aufgehen, doch mit "About to Choke" geht er genau in eine andere Richtung. Entgegen dem Zeitgeist, legt er keinen Wert auf laute Töne. Seine Kunst besteht darin, mit den Stimmungen zu arbeiten, die er mit seiner Musik beim Hörer auslöst. Und dann immer wieder seine dünne Stimme, die sich aufbäumt, krächzend wird, doch wie ein Windstoß in die Gehörgänge fährt. "About to Choke" ist ein kleiner, doch bedeutender Höhepunkt auf dem diesjährigen Plattenmarkt. Chesnutt ist nicht hitverdächtig, doch gerade seine direkte, ungeschminkte und ehrliche Musik ist ein wunderschöner Farbtupfer im Einheitsgrau der Musikbranche.

Kurt Weill war mit Sicherheit kein Partylöwe, also verwundert es nicht, daß der Film "September Songs", der sich um Weills Lieder dreht, alles andere als MTV-tauglich ist. Gedreht wurde diese deutsch-kanadische Produktion in einer alten Lagerhalle, die mit Theaterkulissen für Bertold Brecht Stuecke angefüllt war. Das besondere an diesem Film ist jedoch, daß eine bunte Mischung von Musikern daran teilgenommen hat, die damit diesen Streifen auf eine ganz andere Ebene hoben. Neben Elvis Costello, Betty Carter, P.J. Harvey und Lou Reed, spielen da auch Nick Cave, Charlie Haden, David Johansen, die Persuasions, Teresa Stratas und William S. Burroughs. Der kanadische Filmregisseur Larry Weinstein, Spezialität Musikfilme, und der amerikanische Schallplattenproduzent Hal Willner, Spezialität Tribute-Aufnahmen, haben sich in "September Songs" zusammengetan, um ein düsteres Stueck Film zu produzieren. Aufgeteilt in fuenfminütige Sequenzen wird dieser jedoch spätestens nach einer halben Stunde sehr schwarz. Wie bei allen Aufnahmen und Filmen mit verschiedenen Musikern möchte man am liebsten bestimmte Stimmen immer und immer wieder hören, doch da dieser Streifen bislang ein Kinofilm ist, bleibt nur die Hoffnung, daß "September Songs" irgendwann einmal als Video erscheinen wird. Obwohl einige Musiker, wie P.J. Harvey in dem Lied "The Ballad of the Soldier's Wife", die Kulissen hervorragend nutzen, ist der Höhepunkt dieses Filmes doch der Auftritt von Betty Carter in "Lonely Town". Stehend hinter einer Jazz-Combo erzählt ihre kühle Stimme und ihre geringe Ausdrucksform einfach alles, was man über Songs und Gefuehle wissen muß.

Das Musikermagazin "Guitar World" nennt Warren Cuccurullo in einem Atemzug mit Jö Satriani und Eddie Van Halen. Gitarrengötter, die irgendwo auf Wolke sieben ihre Klampfe bearbeiten. Nachdem er für Frank Zappa auf mehreren Platten spielte, darunter auch das brillante Album "Jö's Garage", formierte er mit einigen Zappa-Musikern die "Missing Persons". Eine New Wave Rock-Band, die lange Zeit als Geheimtip galt.

Seit 1986 spielte Cuccurullo dann für Duran Duran auf mehreren Platten und Tourneen seine treibende Gitarre. Mit "Thanks to Frank" legt Warren Cuccurullo nun sein erstes Solo-Projekt vor."Frank zeigte mir, was man mit Musik alles machen kann. Es gab für ihn einfach keine Grenzen. Er war ein Wunder der Musik, der einfach alle Stile nebeneinander stellen konnte." So beschreibt der begnadete Schueler seinen Mentor Frank Zappa. Und mit "Thanks to Frank" geht Cuccurullo genau diesen Weg. Gewaltige Gitarrenriffs neben sanften Klängen, Jazz ergänzt sich mit rockiger Avantgarde. Immer wieder, so scheint es, hat Mister Frank Zappa persönlich von irgendwo da oben, ein paar Klänge auf diese CD geschmuggelt. Mit "The Canarsie Daiquiri", dem ersten Song auf "Thanks to Frank" unterstreicht Warren Cuccurullo nur nocheinmal seine Verbundenheit zum "Dirty Frank".

Fuer Frank Zappa-Fans und fuer Liebhaber eines experimentellen Gitarrenklangs sollte diese Platte ein absolutes Muß sein. Doch auch jeder aufgeschlossene Musikfan kann auf "Thanks to Frank" von Warren Cuccurullo neue Klangwelten entdecken.

So einfach der Bandname "Plexi" auch klingen mag, "Cheer up", die erste CD der drei Musiker aus Los Angeles, ist alles andere als leicht zugänglich. Beim ersten Reinhören ist da nur ein Durcheinander aus Lautstärke, Tonlagen und verschiedensten Stilrichtungen. Eine kleine Hörpause ist hier angeraten. Dann jedoch sollte man nochmals den Start-Knopf des CD-Spielers drücken. Plexi entpuppt sich nämlich als neues, interessantes und musikalisch vielseitiges Trio.

Irgendwo zwischen Pop, Gothic und Rock haben sich die drei Musiker Michäl Angelos, Michäl Barragan und Norm Blockaus angesiedelt. Alptraumhafte Klänge wechseln mit zarten und beschaulichen Melodien ab. Plexi sind eine Mischung aus Nirvana und Oasis, Fields of the Nephilim und Bowies 70er Glamour-Rock. Doch trotz dieser unterschiedlichen Welten schaffen es Sänger Michäl Angelos und Gitarrist Michäl Barragan, neue Akzente zu setzen. Die Stimme ist fesselnd, die Gitarre abwechslungsreich dominierend. Diese Mixtur klingt neu und unverbraucht-frisch. Zweifellos haben Plexi mit ihrem Sound eine ganz große Zukunft vor sich. Auch wenn keines der Lieder absolut hitverdächtig klingt, so scheint es doch, daß Plexi die logische Konsequenz aus dem Scheitern der Grunge-Bewegung sind.

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© Nürnberger Zeitung 1996