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Ehemalige jüdische Mitbürger zu Museumsplänen der Stadt
"Besser spät als gar nicht"

  VON WALTER SCHATZ

„Besser spät als gar nicht“ entgegnet Margot Kimmel, geborene Schwarz, auf den Einwand aus der Runde der Gäste, das geplante Dokumentationszentrum hätte schon zwanzig Jahre früher entstehen sollen. Sie hält die Absicht der Museen der Stadt Nürnberg für eine gute Idee, eine ständige Ausstellung im Kongreßhallentorso einzurichten, damit die Besucher den Unterschied zwischen der NS-Schreckensherrschaft und der heutigen Zeit erkennen können. Je unmißverständlicher die Missetaten des Nazi-Regimes dargestellt werden, umso deutlicher erscheine vor diesem Hintergrund, was seit der Hitlerzeit Gutes getan worden ist.

Jubelnde Gäste am Fenster

Margot Kimmel hat alle Reichsparteitage in Nürnberg miterlebt, denn sie ist erst im Alter von 15 Jahren im Oktober 1938 mit ihrer Mutter und Großmutter nach New York ausgewandert. Sie erinnert sich noch genau, daß ihre Familie während der NS-Spektakel Leute in die Wohnung an der Nibelungenstraße 28 aufnahm, die aus den Fenstern den vorbeimarschierenden braunen Kolonnen zuschauen oder gar zujubeln wollten. In den Anfangsjahren der NS-Zeit blieb für sie, wie für alle anderen auch, die Volksschule an der Holzgartenstraße geschlossen, weil das Haus, wie andere Schulgebäude auch, als Massenquartier diente.

Gleich ihr spricht auch Henry Gitterman, früher Heinz Güttermann, von einem interessanten Gedanken, die NS-Zeit zu dokumentieren. Er ist mit seiner 44jährigen Tochter Amy Hackett, einer promovierten Chemikerin, und seinem Schwiegersohn Brian aus den USA nach Nürnberg gekommen, um ihnen all das zu zeigen, was sie nur aus Berichten kennen. „Das Gelände und seine Bauten sind viel größer, als sie in Filmen wirken“, stellen er und seine Begleitung vor der Zeppelintribüne fest. Gitterman will das ehemalige Reichsparteitagsgelände so weit wie möglich erhalten wissen, „damit unsere Kinder und Enkelkinder noch etwas sehen, von dem sie lernen können“.

Auseinandersetzungen

Der Kraftwerksingenieur war mit 15 Jahren im August 1939 gewissermaßen in letzter Minute vor Kriegsbeginn nach New York geflüchtet, nach Kriegsende aber auf Geschäftsreisen schon häufiger nach Nürnberg zurückgekehrt. Der Ausreise gingen lange Auseinandersetzungen mit seinem Vater Max voraus, der sich als sechsmal verwundeter Soldat des Ersten Weltkriegs nicht vorstellen wollte, daß auch er verfolgt werden könnte. Das Drängen des damals großen und kräftigen Heinz, der in der Bucher Straße 76 aufwuchs, versteht sich daraus, daß sein Lehrer in der Schule an der Bielingstraße ihn stets später zum Unterricht kommen und früher wieder heimgehen hatte lassen, weil er häufig von Mitschülern geschlagen worden war. Die Olympischen Spiele von 1936 in Berlin mit ihrem Pomp und Gepränge gaben schließlich dem Vater den Anstoß, sich um eine Einwanderungserlaubnis in die USA zu bemühen. Damals stand die sogenannte Kristallnacht vom November 1938 noch bevor, in der Heinz Güttermanns Onkel erschlagen, seine Tante schwer verletzt worden ist.

Blick in die Zukunft richten

Fred (Fritz) Adler will nicht einsehen, daß „an Namen von NS-Größen erinnert wird, die für den millionenfachen Mord an Juden verantwortlich sind“. Der 77jährige vormalige Geschäftsmann (Branche Kühl- und Klimaanlagen) sähe das Geld besser angelegt, wenn es für die Jugend statt für ein Museum ausgegeben wird. „Bringen Sie die jungen Leute nach Nürnberg und zeigen Sie ihnen, was im Frieden geschaffen worden ist!“ Seine Kinder und Enkelkinder wollten eher zukunftsweisende Dinge sehen, als den Blick in die Vergangenheit zu richten. Das amerikanische Fernsehen zeige monatlich mindestens einmal Filme über die NS-Zeit, ihn interessiere aber nicht, wie Julius Streicher ausgesehen hat. „Keine Namen, keine Bilder, keine Denkmäler“, so lautet sein Kommentar zu dem Nürnberger Projekt.

Der erste Besuch nach der Emigration im Jahr 1937 hat Fred Adler nicht so bewegt wie der gegenwärtige Aufenthalt. Als Dolmetscher bei der 3. US-Armee im Rheinland nahm er sich im Frühjahr 1945 drei Tage Urlaub und erlebte damals schon ein anderes Nürnberg als die Stadt, die er verlassen hatte. Triumph Adler lieh ihm ein Motorrad, das Hotel Deutscher Hof gab ihm kostenlose Unterkunft. Andere Erfahrungen hatten seine Eltern und er in der NS-Zeit gemacht. Der Vater war Frontsoldat im Ersten Weltkrieg und mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichnet worden, hat aber als Reisender nach 1933 bald erfahren, daß „Juden unerwünscht“ sind, wie auf vielen Schildern in Geschäftsauslagen zu lesen stand. Selbst die Köchin, die 40 Jahre in der Familie lebte, sagte eines Tages zu ihm: „Ich bringe Sie auch noch ins braune Haus!“ (dem Sitz der Gauleitung/die Redaktion).

Ganz ähnlicher Meinung wie Adler ist Margot Seckel, geborene Astruck, die 1935 mit 18 Jahren eine lange Wanderschaft von der elterlichen Wohnung am Prinzregentenufer 13 durch die halbe Welt antrat. England, die Schweiz, Peru, Argentinien und die USA (Kali fornien) waren Stationen auf ihrem Lebensweg, auf dem sie stets das Wissen um die Rassenkunde begleitete, die ihr wie allen anderen Deutschen am Mädchengymnasium in der Findelgasse gelehrt worden war. „Die Nürnberger haben eine Achillesferse, da sollen sie nicht noch mehr hineinreiben“, meint die Exportkauffrau mit Wohnsitz München seit 1973. Wann immer sie Fremde durch Nürnberg führt, zeigt sie ihnen die Burg, die alten Kirchen und das Germanische Nationalmuseum. Das ehemalige Reichsparteitagsgelände steht nicht auf ihrem Programm. „Nürnberg hat schon so viele Museen, daß die Stadt das Geld für ein Dokumentationszentrum (9,5 Millionen Mark/die Redaktion) lieber für Arme verwenden sollte.“

Dieser Ansicht setzt Pablo (Paul) Schwed (67) die Meinung entgegen, künftige Generationen müßten unbedingt wissen, was in der Nazi-Zeit passiert ist. Er hätte zwar das Reichsparteitagsgelände nicht erhalten, aber heutzutage müßte den Legenden entgegengewirkt werden, die Neonazis auszustreuen versuchten. Schwed war 1934 mit seinen Eltern nach Jugoslawien gezogen, weil der Vater nur an einen kurzen Spuk des Nationalsozialismus glaubte, mußte jedoch schon vier Jahre später nach einem Abkommen mit Deutschland und Jugoslawien als deutscher Jude das Land verlassen und lebt seither in Uruguay. Er sieht den tieferen Sinn eines Dokumentationszentrums darin, daß Menschen erkennen: „Heute werden die Juden angefeindet, morgen die Schwarzen, übermorgen die Gelben.“

Erinnerungsfoto vor der Zeppelintribüne: Pablo Schwed, Henry Gitterman, Margot Kimmel, Fred Adler und seine Frau (von links) besichtigen das ehemalige Reichsparteitagsgelände, über das sie unterschiedliche Ansichten haben.                Foto: Bauer

 

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