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Ein Fenster in die Geschichte
Ein Erlanger Historiker zum Konzept für die neue Gedenkstätte

  NÜRNBERG - Ein „Fenster mit Blick auf die Geschichte des Dritten Reichs“ sieht Professor Gregor Schöllgen, Ordinarius für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg, im geplanten Dokumentationszentrum auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände. Der Blick der Besucher müsse daher über den Ausgangspunkt Kongreßhallentorso hinaus stets auf die NS-Bewegung im Ganzen gelenkt und die suggestive Macht totalitärer Propaganda erklärt werden.

Schöllgen nennt in seinem Gutachten Nürnberg den geeigneten Ort für die geistige Auseinandersetzung mit dem NS-Regime, weil die steinernen Hinterlassenschaften der totalitären Epoche heute noch den Süden der Stadt prägen. Monumentale Bauten sind zwar auch in München oder Berlin errichtet worden und haben in ihren Dimensionen selbst die Kongreßhalle übertroffen, sind aber längst wieder im Stadtbild untergegangen. Als Beispiel nennt er den Flughafen Tempelhof mit seinen 1,2 Kilometer langen, halbkreisförmigen Hallen als Tribüne für 80 000 Zuschauer. In Nürnberg aber stehen die größten erhaltenen Relikte nationalsozialistischer Propaganda-Architektur.

„Warum Nürnberg?“

Bei seiner Sammlung von 16 Themen wählt der Historiker stets die Reichsparteitage als Ausgangspunkt, um ganze Kapitel der NS-Bewegung aufzuschlagen. Die Überschriften lauten „Von München nach Nürnberg: Zur Geschichte von Partei und Staat am Beispiel der NSDAP in den zwanziger Jahren“ – „Warum Nürnberg? Die Erhebung der fränkischen Arbeiterstadt zur Stadt der Reichsparteitage“ – „Kulissen für den Führer: Die Reichsparteitage und die Zelebrierung des Mythos“ („Hitler war stets präsent, aber nicht erreichbar“) – „Die Masse als Aktion und Dekoration: Uniformierung oder Mobilisierung als Vorbereitung auf den Krieg“ oder „Inszenierte Faszination: Zur Funktion der Nürnberger Großereignisse in der Propaganda des Dritten Reiches“.

In der künftigen Ausstellung auf einer Fläche von 1000 Quadratmetern will Gregor Schöllgen aber nicht nur das Massenspektakel beleuchtet sehen, sondern auch Gegensätze herausgestellt wissen. Das Leben einer Stadt im Ausnahmezustand an sieben Tagen mit bis zu einer Million Menschen erscheint ihm ebenso wichtig wie eine Antwort auf die Frage „Wer soll das bezahlen?“, denn bis heute ist nicht geklärt, was die Kolossalbauten hätten kosten sollen. Als Wissenschaftler drängt er vor allem auch darauf, die zeitgenössischen Wirkungen des „Spektakels mit Kalkül“ im In- und Ausland zu erforschen. Doktorarbeiten könnten Aufschluß darüber liefern, ob die ersten Parteitage möglicherweise in Großbritannien dazu beigetragen haben, Hitler zu unterschätzen, ihn etwa wie den italienischen Faschistenführer Mussolini für eine theatralische Figur zu halten.

Mit dem Jahr 1939, in dem der „Parteitag des Friedens“ erst kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges abgeblasen worden ist, endet für Gregor Schöllgen die Geschichte des Paradefeldes der nationalsozialistischen Bewegung längst nicht. Das Gelände als Ort von Zwangsarbeit und Deportation während des Krieges (die Nürnberger Juden sind vom Bahnhof März feld in die Konzentrationslager geschickt worden) ist ihm ebenso eine Betrachtung wert wie der Bombenkrieg, bei dem in 44 Luftangriffen die Stadt eine Quittung für ihre besondere Rolle im Dritten Reich erhalten hat, oder die Kriegsverbrecherprozesse, in der die Stadt stellvertretend für Deutschland am Pranger stand.

Das Fazit des Gutachtens lautet: „Die Einrichtung eines zeitgeschichtlichen Museums auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, das der historischen Bedeutung des Ortes angemessen ist, zählt zu den verbliebenen großen Herausforderungen, die im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit noch zu meistern sind“. Schöllgen sieht in dem Projekt eine nationale Aufgabe und nimmt dafür gleich dem Nürnberger Kulturreferenten Georg Leipold und Museumsdirektor Franz Sonnenberger die Bundesrepublik Deutschland und den Freistaat Bayern in die Pflicht, zumal die Ausstellung einen Akzent in der deutschen Museumslandschaft setzen kann.


Blick auf den Kongreßhallentorso: Der Innenhof soll – nach Schöllgens Ansicht – freigemacht werden, damit Besucher die Monumentalität des Bauwerks ermessen können.

 

 

Die Entscheidung fiel in der Nacht zum 22. Juli 1933. Bei einer Besprechung mit Gauleiter Julius Streicher und Nürnbergs NS-Oberbürgermeister Willy Liebel machte der „Führer“ Druck: Die Kommune müsse sich rasch entscheiden, ob sie für die „nächsten hundert Jahre den Parteitag mit einigen hunderttausend Teilnehmern in ihrer Stadt haben will oder ob sie diesen für die Geschäftswelt Nürnbergs außerordentlichen Vorteil daran scheitern läßt, daß sie eine Anzahl von alten Bäumen im Luitpoldhain erhalten will“.

Um das Parkgelände in einen Aufmarschplatz für 150.000 SA-Leute zu verwandeln, bedurfte es erheblicher Umbauten. Und es mußte schnell gehen. Angeblich, so drohte Adolf Hitler, habe sich auch Stuttgart für die Ausrichtung der NS-Parteitage beworben. Liebel und Streicher beeilten sich, allen Wünschen nachzukommen.

"Stadt der Reichsparteitage"

Nürnberg bekam den Zuschlag. Wenige Wochen später erklärte Hitler bei der Eröffnung des „Parteitags des Sieges“: „Ich habe mich entschlossen zu bestimmen, daß unsere Parteitage jetzt und für immer in dieser Stadt stattfinden.“ Nürnberg war zur „Stadt der Reichsparteitage“ gemacht worden.

Zehnmal veranstaltete die NSDAP in den 20er und 30er Jahren Reichspar teitage. Der erste fand 1923 in der „Hauptstadt der Bewegung“ München, der zweite 1926 in Weimar statt. 1927 fiel die Wahl auf Nürnberg, 1929 folgte das nächste braune Treffen dieser Art in der roten Hochburg. Obwohl die Stadt in der Weimarer Republik mit Oberbürgermeister Hermann Luppe an der Spitze sozial-liberal geprägt war, kamen die Nazis gerne nach Nürnberg.

Hier konnten sie sich des Wohlwollens der staatlichen Ordnungsmacht unter Polizeidirektor Heinrich Gareis sicher sein. Später stellten die NS-Propagandisten die reiche Vergangenheit Nürnbergs („des Deutschen Reiches Schatzkästlein“) in den Dienst der Partei und konstruierten eine vermeintliche Traditionslinie von der „Stadt der Reichstage“ zur „Stadt der Reichsparteitage“.

Im „Dritten Reich“ rückten die vormals reinen Parteifeiern in den Rang von Staatsakten. Die alljährlichen Propagandafeiern zwischen 1933 und 1938, jeweils Anfang September, brachten innerhalb einer Woche rund eine Million Teilnehmer und Zuschauer aus dem ganzen Reich nach Nürnberg. Die Arbeiterstadt wurde zum Forum der größten NS-Spektakel im nationalsozialistischen Feierjahr.

Hitler ließ sich eine Spielstätte bauen

Nur um diese von Jahr zu Jahr immer mehr in Ritualen erstarrten Massenveranstaltungen in Szene setzen zu können, ließ sich Hitler von seinem Lieblingsarchitekten Albert Speer eine Spielstätte im Südosten der Stadt schaffen, die fünfzehnmal so groß wie die Altstadt war: das Reichsparteitagsgelände.

Als Träger des ab 1934 laufenden (und mit Kriegsbeginn 1939 gestoppten) Bauprogramms unvorstellbaren Ausmaßes fungierte der „Zweckverband Reichsparteitag Nürnberg“, dem die NSDAP, das Deutsche Reich, das Land Bayern und die Stadt Nürnberg angehörten. Speer schuf die Pläne für Aufmarsch- und Versammlungsplätze für die „Bewegung“: Luitpoldarena, Zeppelinfeld, Große Straße, Märzfeld, Deutsches Stadion.

Das Regime wollte sich mit der gigantomanischen Architektur ein Denkmal setzen. Der größte Teil dieses Milliardenprojekts ist ebensowenig fertiggestellt worden wie der von dem Nürnberger Architekten Ludwig Ruff entworfene Kongreßbau am Dutzendteich.

Die „Tage von Nürnberg“ – geplant von einem Mitarbeiter-Heer des Reichsorganisationsleiters Robert Ley – waren gekennzeichnet von Aufmärschen, Appellen, Totenehrung, Vorbeimärschen. Die „Volksgenossen“ sollten zusammengeschweißt werden. Neben den „Amtswaltern“ der NSDAP, der Sturmabteilung (SA), der Schutzstaffel (SS) und anderen para militärischen Verbänden versammelten sich auch Abordnungen des Reichsarbeitsdienstes (RAD), der Hitler-Jugend (HJ) und der Wehrmacht.

"Kraft durch Freude"

In strenger Folge war jeder Gruppe ein Tag in der Feierwoche gewidmet. Daneben gab es von Jahr zu Jahr immer mehr schlichte Unterhaltungselemente wie in der Budenstadt „Kraft durch Freude“, um die Menschen bei der Stange zu halten.

Ein Volk übte den Marschtritt. Der einzelne ging in der Masse auf. Die NSDAP wollte Aufsehen erregen, Macht demonstrieren, die politischen Gegner einschüchtern, den Glauben an das Regime festigen und vor allem die „Volksgenossen“ auf den „Führer“ einschwören.

Es ging um ein Schauspiel mit pseudosakralem Charakter, um „Feldgottesdienste“ zu Ehren des „politischen Messias“ Adolf Hitler. Der Diktator stand im Mittelpunkt des Geschehens. Der Hitler-Mythos bekam in Nürnberg immer wieder neue Nahrung.

Und der „Führer“ half dabei kräftig mit. „Das ist das Wunder unserer Zeit, daß ihr mich gefunden habt unter sovielen Millionen. Und daß ich euch gefunden habe, das ist Deutschlands Glück“, rief er der SA 1936 in der Luitpooldarena zu. Die Parteitage entpuppten sich als „Adolf-Hitler-Festspiele“, bei denen sich „Führer“ und „Gefolgschaft“ vereinen sollten.

Vorbereitung auf den Krieg

Die höchste Sinnerfüllung erfuhren die Parteitage in der Ausrichtung auf das letzte Ziel: die Vorbereitung auf den Krieg. Wie Rituale der Mobilmachung wirkten die permanenten militärischen Übungen der verschiedenen Verbände.

Ob es um die „NS-Kampfspiele“ ging mit Disziplinen wie Handgranatenweitwurf oder die Gefechtsszenen am „Tag der Wehrmacht auf dem Zeppelinfeld – Training für den Krieg, Einstimmung auf Kampf und Tod. Die Organisation, die Logistik im Hintergrund mußte stimmen, der Nachschub funktionieren. Die Reichsbahn bewegte in wenigen Tagen 3000 Sonderzüge von und nach Nürnberg. Später rollten die Räder „für den Sieg“.

Selten sprach Hitler so oft vom Frieden wie bei den Nürnberger Parteitagen. Blendwerk und Lüge. So erfüllte selbst der „Parteitag des Friedens“, der am 2. September 1939 beginnen sollte, noch seinen Zweck als Instrument der politischen Täuschung – obwohl er nie stattgefunden hat.

Die Vorbereitungen liefen bereits seit Monaten auf Hochtouren. Wenige Tage vor dem angekündigten Beginn wurde er „vorerst“ abgesagt. Am 1. September 1939 überfiel Hitlers Armee das Nachbarland Polen und stürzte die Welt in den verheerenden Krieg.

Nürnberger Nachrichten

 

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