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„Überfälliges Signal“

  Erklärungen zu den Plänen für ein Dokumentationszentrum
Museum zur Geschichte des NS-Regimes findet lebhaftes Echo

VON WALTER SCHATZ

Die Pläne der Museen der Stadt für ein Dokumentationszentrum „Reichsparteitagsgelände Nürnberg“ werden von Politikern aller demokratischen Parteien und Repräsentanten der Wirtschaft nachhaltig unterstützt. Danach sollen – wie ausführlich berichtet – ständige Ausstellungen im Kongreßhallentorso und seiner unmittelbaren Umgebung zur Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus und ihren Folgen anregen. Eine Spendenzusage der Nürnberger Nachrichten von 100 000 Mark, der Nürnberger Zeitung, kicker sportmagazin und Verleger Bruno Schnell von je 50 000 Mark für das Projekt mit Gesamtkosten von 9,5 Millionen Mark wird allgemein als Signal an Bund, Land und andere Förderer verstanden, ihren Beitrag zu dieser nationalen Aufgabe zu leisten.

Oberbürgermeister Ludwig Scholz sieht in dem geplanten Dokumentationszentrum, das bis zur Mitte des Jahres 2000 vollendet sein soll, ein Projekt von „erheblicher Wichtigkeit für unsere Stadt“. Das Museum zur Geschichte des NS-Regimes sei geeignet, den Ruf und das Ansehen Nürnbergs zu mehren. In einem Schreiben an Verleger Bruno Schnell dankt der Oberbürgermeister für die Anschubfinanzierung von 250 000 Mark im Namen des Rats und der Bürgerschaft der Stadt. „Ich bin sicher, daß Ihre Zusage auch in München und in Bonn, wo wir dringend Finanzierungspartner für das Vorhaben gewinnen müssen, beachtet und gewürdigt werden wird“, betont Scholz.

„Nur derjenige, der sich an das Gestrige erinnert, erkennt, was heute geschieht, und wird überschauen können, was morgen sein wird“, meint der Präsident der Industrie- und Handelskammer, Hubert Weiler. Daher sei es wichtig, sich sachlich und intensiv mit der Geschichte des „Dritten Reiches“ auseinanderzusetzen, zumal Nürnberg wie keine andere Stadt in Deutschland über architektonische Zeugnisse der Nazi-Herrschaft verfügt. Weiler begrüßt deshalb eine sinnvolle Aufklärungsarbeit und die Möglichkeiten zu profunder Information über diese steingewordenen Dokumente der Diktatur, denn gerade für kommende Generationen, die Zeitzeugen nicht mehr befragen können, habe die fortwährende Auseinandersetzung mit dieser Geschichtsepoche größte Notwendigkeit. Der Präsident nennt es erfreulich, wenn das Projekt Dokumentationszentrum von Bund, Land und regionalen Förderern unterstützt wird.

Der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, Arno Hamburger, erklärt: „Nach mehr als 50 Jahren ist es wirklich an der Zeit, die Geschichte des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes den Besuchern zu erklären“. Die Kultusgemeinde freue sich, daß sie einen Beitrag habe leisten können, das Projekt auf den Weg zu bringen – etwa durch Gespräche mit Persönlichkeiten wie dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, die sich für das Dokumentationszentrum einsetzen werden. Im Engagement des Verlegers der Nürnberger Nachrichten sieht er eine Vorbildfunktion für andere, dem Beispiel zu folgen. Die Rolle Nürnbergs in der jüngsten Vergangenheit müsse beleuchtet werden, auch unter dem Gesichtspunkt, daß Nürnberg sich nicht danach gedrängt habe, „die Stadt der Reichsparteitage“ zu werden.

Bedeutung für den gesamten Großraum mißt der Geschäftsführer des Markenting-Vereins „Die Region Nürnberg“, Jörg Hahn, einem Dokumentationszentrum bei. „Seine Realisierung mit gebotener Offenheit, Sensibilität und internationaler Ausrichtung könnte ein längst überfälliges Signal setzen: Nürnberg bekennt sich nicht nur zu diesem Teil seiner Geschichte, sondern informiert offensiv darüber, lädt zur Auseinandersetzung ein und bietet ein Forum für diese Auseinan dersetzung an“, erklärt er. Das Dokumenationszentrum „Reichsparteitagsgelände“ schaffe das noch fehlende Fundament unter alle Vorhaben zum Thema „Frieden und Menschenrechte“.

Die Fraktionsvorsitzenden im Rathaus äußern einmütig den Wunsch und die Hoffnung, daß das Beispiel des NN-Verlegers viele Nachahmer finden wird. Klemens Gsell (CSU) hält das ehemalige Reichsparteitagsgelände für geeignet, der jüngeren Generation die Mechanismen und Folgen eines diktatorischen Staates deutlich vor Augen zu führen. Er erinnert daran, daß er bereits als Stadtvorsitzender der Jungen Union ein Dokumentationszentrum angemahnt habe, als er die damaligen Ideen eines Einkaufs- und Vergnügungszentrums im Kongreßhallentorso verwarf, weil sie der geschichtlichen Verantwortung der Stadt im Umgang mit den Relikten der Nationalsozialisten unangemessen gewesen seien. Bei Gesprächen mit Bundes- und Landespolitikern in den zurückliegenden Monaten habe er deshalb auf die Verantwortung für das gemeinsame Erbe der deutschen Geschichte hingewiesen. Der CSU-Fraktionschef fordert jedoch auch die Mitwirkung aller Nürnberger Bürger an dem geplanten Projekt, damit der unbefriedigende Umgang mit dem Gelände nach mehr als 50 Jahren beendet werden kann.

„An Nürnberg blieben die braunen Machtsymbole hängen wie an keiner anderen Stadt, aber Nürnberg ist nach dem Krieg im Umgang mit diesem fatalen Erbe auch hängen gelassen worden, so als schlüge die Bundesrepublik dieses Erbe aus“, meint SPD-Fraktionschef Jürgen Fischer. Die Stadt habe die Monumentalbauten als Tribüne für Autorennen und als Lagerhalle nüchtern genutzt, sei aber der Diskussion über sie nie ausgewichen, wie viele Symposien in der Nachkriegszeit beweisen. Die städtischen Mittel hätten jedoch nicht zu mehr als der Ausstellung „Faszination und Gewalt“ in der Zeppelintribüne und Erklärungstafeln auf dem Gelände gereicht. „Ein Dokumentationszentrum, das die Zusammenhänge zwischen der Zur-Schau-Stellung brutaler Diktatur gnadenloser Angriffskriege und Völkermord aufzeigt, ist in einer Zeit dringend notwendig, in der mehr und mehr die nationalsozialistische Vergangenheit unseres Landes verharmlost oder vergessen wird“, erklärt Fischer.

Bund und Land sieht die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Christine Stahl, in der Pflicht, sich für das seit 1973 denkmalgeschützte ehemalige Reichsparteitagsgelände mit seiner unbestritten nationalen Bedeutung einzusetzen. Angesichts der Größe des Areals sei die Stadt allein mit einer solchen Aufgabe überfordert. Sie sieht den tieferen Sinn eines Museums nicht in der Archivierung von Schuld oder von Grauen, eher in einer Sensibilisierung dafür, daß unsere Freiheit nicht selbstverständlich, sondern bitter erkauft ist.

(Nürnberger Nachrichten vom 18.6.97)

 

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