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Licht ins Dunkel einer Epoche
Jährlich 100 000 Besucher müssen die Hintergründe der Kulissen der Gewalt kennenlernen
VON WALTER SCHATZ

  NÜRNBERG – Mehr als 100 000 Menschen ziehen Jahr für Jahr durch das ehemalige Reichsparteitagsgelände. Beim Blick auf die imposanten Kulissen für die Selbstinszenierung der Nationalsozialisten, mit der ein ganzes Volk vereinnahmt werden sollte, bleiben sie sich meist selbst überlassen.

Die Besucher erfahren nicht, wie sich die Nazi-Bewegung hier auf beinahe obszöne Weise selbst feierte, der Welt die Schauseite des Regimes präsentierte, die Deutschen unverhohlen auf den Krieg einstimmte und schließlich ihre verbrecherischen Rassegesetze verkündete, die den Weg in den Holocaust ebneten. Sie suchen vergeblich Antworten auf ihre Fragen an die Geschichte.

Die kleine Ausstellung „Faszination und Gewalt“ in der heruntergekommenen Zeppelintribüne, die seit 1985 von der Stadt Nürnberg präsentiert wird, kann ihnen nur unzureichende Informationen bieten, zumal die unbeheizbaren Räume in den Herbst- und Wintermonaten geschlossen bleiben müssen.

„Ein Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg, das sich mit vergleichsweise geringem Aufwand schaffen läßt, wäre die angemessene Antwort auf das öffentliche Interesse“, meint Franz Sonnenberger, der Direktor der Städtischen Museen. Er hat es nicht bei Worten des Bedauerns bewenden lassen, sondern sich mit seinen Mitarbeitern Gedanken über ein neues Ausstellungsareal mit zeitgemäßer Museumsstruktur gemacht.

Räume in gutem Zustand

Die unvollendete Kongreßhalle, die in ihrer Fassade an das antike Colosseum in Rom erinnert, erscheint Sonnenberger und seinen Beratern als idealer Ort, um das historische Erbe der nationalsozialistischen Zeit zu beleuchten.

Im Nordkopf des größten erhaltenen Monumentalbaus aus der NS-Zeit in Deutschland befinden sich ungenutzte Räume in gutem Zustand, die mit einer Fläche von 1200 Quadratmetern ausreichend Platz bieten, um Themen wie das Imponiergehabe der Nationalsozialisten auf den Reichsparteitagen, die Entstehungsbedingungen, Erscheinungsformen und Auswirkungen des Nationalsozialismus darzustellen, aber auch in angemessener Weise an die Opfer des NS-Regimes zu erinnern und ihre Leidensgeschichte zu zeigen.

Ein Raum neben den Hallen soll den „Ort der Täter“ über Computerterminals mit Gedenkstätten an die Opfer wie dem Holocaust-Museum in Washington, Yad Vashem in Jerusalem oder „Topographie des Terrors“ in Berlin verbinden.

Das neue Museum will aber auch ein deutliches architektonisches Zeichen gegen die Imponierbauten der Nationalsozialisten setzen. Ein leicht und „schwebend“ wirkender Empfangspavillon ist zwischen dem Ufer des Dutzendteichs und der Kongreßhalle geplant.

Er soll Ausstellungsräume zur Gechichte des Geländes vor 1933 und zur Geschichte der NS-Herrschaft aufnehmen. Ein verglaster Gang wird ihn mit den Dokumentationsräumen in der Kongreßhalle verknüpfen. Eine turmartige Kunstinstallation/Skulptur im See selbst, ebenfalls mit einem Steg zum Pavillon, soll an den markanten Leuchtturm erinnern, der seit 1906 am Dutzendteich stand und für den Bau der Kongreßhalle abgerissen worden war.

„Mit dem Leuchtturm wollen wir aber auch deutlich machen, daß kein Dunkel auf die Epoche von 1933 bis 1945 fallen soll“, betont Sonnenberger.

Gutachten steht zur Diskussion

Für die Ausstellungsinhalte hat der Erlanger Ordinarius für Neuere Geschichte, Professor Gregor Schöllgen, ein Gutachten ausgearbeitet, das noch im Frühsommer einem Beirat von hochkarätigen Wissenschaftlern vorgelegt wird. Historiker und Museumsfachleute wie Professor Wolfgang Benz, Lehr stuhl für Antisemitismusforschung an der Berliner Technischen Universität, Professor Horst Möller vom Institut für Zeitgeschichte in München, Professor Reinhard Rürup, der geistige Vater der Gedenkstätte im ehemaligen Gestapo-Hauptquartier an der Berliner Prinz-Albrecht-Straße, Professor Hermann Schäfer, Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn, und Professor Christoph Stölzl sollen die vorgeschlagenen Themen diskutieren, bestätigen oder ergänzen.

Die Pläne der Museen der Stadt Nürnberg haben in Politik und Öffentlichkeit ein lebhaftes Echo gefunden. Repräsentanten aller demokratischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen wollen das Projekt unterstützen, in dem sie eine Aufgabe von nationalem Rang sehen.

Daher haben sich prominente Fürsprecher wie der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, die Präsidentin der jüdischen Museen in Europa, Judith Belinfante (Amsterdam), oder der frühere Bundesminister Hans-Jochen Vogel, Vorsitzender des „Vereins gegen das Vergessen“, bereitgefunden, in einem Kuratorium die Entstehungsgeschichte des Dokumentationszentrums zu begleiten.

Eine besondere Vermittlerrolle spielt Nürnbergs Bundesminister a.D. Oscar Schneider, der als Kuratoriumsvorsitzender seine Beziehungen zum Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn und zum Deutschen Historischen Museum in Berlin spielen läßt.

Auf seine Bitte hat Ministerialdirektor Professor Wolfgang Bergsdorf, Leiter der Abteilung Kultur im Bundesinnenministerium, das ehemalige Reichsparteitagsgelände besucht und festgestellt, daß der Bund die Museumspläne fördern kann. In nächster Zeit wird sich auch ein hochrangiger Beamter des bayerischen Kultusministeriums umsehen, von dem eine ähnliche Aussage erwartet wird.

„Beispiel soll Schule machen“

Franz Sonnenberger hofft zuversichtlich, daß Bund und Freistaat Bayern den Löwenanteil der Kosten für das Dokumentationszentrum von 9,5 Millionen Mark übernehmen werden. Dennoch freut er sich über die Anschubfinanzierung der Nürnberger Nachrichten, der Nürnberger Zeitung und Verleger Bruno Schnell von insgesamt 250.000 Mark. „Es wäre schön, wenn dieses Beispiel Schule machen würde“, sagt der Museumsdirektor.

Nürnberger Nachrichten

 

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