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Dokumentationszentrum in der Kongreßhalle
soll Aufstieg und Terror der Nazis darstellen

Auf rohen Bretterstegen in die Vergangenheit

  NÜRNBERG. – Wenn alles nach den Vorstellungen der Nationalsozialisten gelaufen wäre, dann hätten sie von der Kongreßhalle aus der ganzen Welt die imposante Schauseite ihres Regimes präsentiert: Ein Monumentalbau, in dessen Innenraum unter einem freitragenden Dach von 160 Metern Spannweite 50 000 Menschen Platz gefunden hätten; ein Koloß mit 68,5 Metern Höhe, gegen den sich das römische Kolosseum, an das man sich stilistisch anlehnen wollte, fast bescheiden ausgenommen hätte. Doch die hufeisenförmige Anlage blieb unvollendet.

Aber auch der Torso hat noch gewaltige Dimensionen. Der größte erhaltene Monumentalbau der NS-Zeit gibt Menschen, die vor ihm stehen, das Gefühl, auf Ameisengröße zu schrumpfen. Für Franz Sonnenberger, den Leiter der Museen der Stadt Nürnberg, ist die Kongreßhalle deshalb der ideale Ort, um den 100 000 Besuchern aus aller Welt, die jedes Jahr das ehemalige Reichsparteitagsgelände besichtigen, die Geschichte des Nationalsozialismus zu erklären. Seine Idee für ein Dokumentationszentrum zur NS-Geschichte steht – bis zum Jahr 2000 soll sie realisiert sein.

Die Leiden der Opfer

Im nördlichen Kopfbau der Kongreßhalle, im bislang ungenutzten ersten Stock, möchte Sonnenberger drei Ausstellungsräume mit insgesamt rund 1200 Quadratmetern einrichten. Dem Besucher soll zuerst die Selbstinszenierung der Nazis auf den Reichsparteitagen demonstriert werden, dann folgen Ausstellungseinheiten über Entstehung, Erscheinungsformen und Auswirkungen des Nationalsozialismus, schließlich will man am Ort der Täter an die Leiden der Opfer erinnern. Ab Juli wird ein wissenschaftlicher Beirat aus Museumsleuten und Historikern das genaue Konzept erarbeiten. Er muß auch die Abgrenzung zu ähnlichen Einrichtungen in Berlin und Bonn festlegen.

In einem Kommunikationsbereich zwischen den Ausstellungsräumen sollen moderne Medien zum Einsatz kommen. Sonnenberger schwärmt von einem „Netzwerk“: Computer-Terminals könnten den Besucher mit allen wichtigen Museen und Dokumentationsstätten zum Thema Nationalsozialismus und Holocaust verbinden.

Die Räume befinden sich im Rohbau-Zustand, und genau so will Sonnenberger sie auch belassen: „Nicht zu fein herausgeputzt, eine Präsentation in sichtbarer Distanz zur historischen Architektur.“ So stellt er sich z. B. vor, die Besucher über Bretterstege laufen zu lassen. Als Gegenpol zum Imponierbau der Nazis möchte der Museumsmann auch den Zugang zum geplanten Zentrum gestalten: Ein „leicht und schwebend wirkender Empfangspavillon“ auf Stelzen, zwischen dem Ufer des Dutzendteichs und dem Nordflügel der Kongreßhalle, soll als erste Anlaufstelle über die Vorgeschichte des Geländes und der NS-Herrschaft informieren. Durch einen verglasten Gang gelangt der Besucher dann – in fünf Metern Höhe über der Lkw-Zufahrt – in den ersten Stock der Kongreßhalle.

Schließlich setzt Sonnenberger auch noch auf Symbolik. Der alte Leuchtturm, der 1906 anläßlich der Landesgewerbeausstellung im Dutzendteich errichtet wurde und dem Bau der Kongreßhalle zum Opfer fiel, soll in neuer Form wieder aufleben: als turmartige Kunstinstallation, über einen Steg vom Pavillon aus erreichbar. „Eine Aufgabe, die jeden Künstler reizen wird“, meint Sonnenberger, „mit Licht als künstlerischem Gestaltungsmittel, als Sinnbild für das Bekenntnis zur Aufklärung gegenüber der düsteren Vergangenheit.“

Wenn die Finanzierung klappt, müßte sich die Stadt nicht mehr mit dem seit 1985 bestehenden Provisorium, der Ausstellung „Faszination und Gewalt“ in der Zeppelintribüne, begnügen. Diese Schau ist schwer erreichbar und zudem nur im Sommer zugänglich, weil sich die Räume nicht beheizen lassen. Und mit Provisorien gibt sich Franz Sonnenberger nur ungern ab. Er orientiert sich lieber an Vorbildern wie dem Holocaust Memorial Museum in Washington.

Ute Wolf, Nürnberger Zeitung

 

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