Penetrant patriotisch: Wolfgang Petersens Action-Thriller „Air Force One“
Die heilige Kuh greift zur Knarre
Das nennt man Ironie der Geschichte: Kaum hat US-Präsident James Marshall in Moskau eine Kampfansage an den internationalen Terrorismus beendet, kapern unverbesserliche Altkommunisten sein Flugzeug, die Air Force One. Sie töten die Wachbeamten, nehmen die Familie des Präsidenten mitsamt den engsten Mitarbeitern als Geiseln, dirigieren die Maschine nach Kasachstan um, und verkünden der freien Welt: Laßt unseren alten General Radek raus und gebt den Weg frei für die Restauration der alten Sowjetunion!

Dummerweise scheint sich der Präsident mit der Rettungskapsel abgesetzt. Außerdem treibt ein überlebender Leibwächter im Bauch des Flugzeugs sein Unwesen, läßt Treibstoff ab und dezimiert die Bösewichte. Was keiner ahnt: Der verzweifelte Einzelkämpfer ist niemand anderes als Marshall höchstselbst!

Vor vier Jahren drehte der Deutsche Wolfgang Petersen in Hollywood einen Thriller im Umfeld des Weißen Hauses: In „In the Line of Fire“ lieferten sich ein Leibwächter und ein Attentäter ein Katz-und Maus-Spiel um das Leben des wichtigsten Mannes. War bisher in vergleichbaren Thrillern der US-Präsident die heilige Kuh, der höchste Wert, um den bis zur Selbstaufgabe gestritten wurde, so beschreitet Peter sens „Air Force One“ Neuland: Der Präsident selbst wird zum aktiven Actionhelden.

In einer Zeit, da die USA sich an Skandale aus dem Weißen Haus gewöhnt haben und selbst die gerichtsmedizinische Untersuchung allerintimster Körperteile die Nation erregt, wächst die Sehnsucht nach einer starken integren Leitfigur. Präsident Marshall (sic!) ist so eine: Er sagt dem Terrorismus den Kampf an, schert sich nicht um schlechte Umfragen, hält sich nicht an den offiziellen Redetext, und vor allem: Er spricht unmißverständlich aus, was er denkt! (Fragt sich bloß, wie hat er es nur so weit bringen können?) Darüberhinaus hat er in Vietnam gedient, von Nahkampftechniken nichts verlernt und überzeugt mit dem Argument der Maschinenpistole wie mit dem Notruf per Handy. Als Hobbybastler weiß er ganz genau, welche Kabel kurzzuschließen sind und als ehemaliger Militärpilot versteht er es, mit dem Jumbojet selbst den Raketen eines MIG-Geschwaders zu entkommen. Darüber hinaus entwickelt Marshall Qualitäten als Schmerzensmann: Er erlebt als Ohrenzeuge Geiselerschießungen mit, trägt Mitschuld am Tode seiner Pressesprecherin, bezieht vom Oberbösewicht (Gary Oldman) Prügel und vergießt Tränen angesichts des bedrohten Töchterleins. Ansonsten bleibt alles wie gehabt: die Russen sind unzuverlässig wie eh und je, die Terroristen fanatische Wirrköpfe und vermeintlich beste Freunde im Krisenstab tragen den Dolch im Gewande.

Das hört sich an wie eine absurde Komödie, ist aber ernst gemeint, (sofern man Actionreißer ernst nehmen kann). Was an „Air Force One“ noch mehr verblüfft, ist der dick aufgetragene Hurra-Patriotismus, wie ihn dermaßen penetrant zu inszenieren kein Amerikaner in der Lage ist. Das kann nur ein Mensch von außerhalb und es erhebt sich die Frage: Ist Wolfgang Petersen ein Mensch mit einer tiefen uneingestandenen Sehnsucht nach nationalen Werten, die zu propagieren er erst ins Ausland fahren muß? Oder aber ist er ein berechnender Zyniker, der den Sehnsüchten seines Publikums Rechnung trägt und mit einer eher kindlichen Lust an der Übertreibung den alten Werten frönt?

Der wahre Ruhm gebührt Harrison Ford: er trägt die absurde Rolle mit dem Gestus eines Menschen, den nichts, aber auch gar nichts mehr erschüttern kann. Gäbe es einen Ehren-Oscar für die Erduldung schwachsinniger Hauptrollen, er hätte ihn verdient.

(ADMIRAL, ATLANTIK, CINECITTA; Fürth: CITY)

Reinhard Kalb

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