Woody Allens
schwungvolle Komödie
„Alle sagen: I love You“
Nostalgie-Zauber ohne Zuckerguß

 

In den 80er Jahren gab es eine Zeit, in der besonders Intellektuelle den amerikanischen Regisseur vertraulich „Woody“ nannten. Liebe und Leid, Nöte und Neurosen des akademischen New Yorkers an sich standen im Mittelpunkt von Filmen wie „Manhattan“ oder „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“. Lachen ja, war das Motto, aber durch existentiellen Anspruch abgesichert sozusagen.

Das hat sich mit Filmen wie „Bullets over Broadway“ oder zuletzt „Mighty Aphrodite“ weitgehend gelegt. Sein neuestes Werk nun führt Populäres und Psychologisches, Witz und Wehmut zusammen, und das vielleicht auf beschwingerte Weise als je zuvor. Allen, keine Frage, ist diesmal für alle da.

„Alle sagen: I love you“. Das gilt auch für die Mitglieder des weitverzweigten Familienclans in Allens gleichnamigem Film. In der günstigen Lage, finanziell bestens versorgt zu sein und nach Lust und Laune zwischen New York, Paris und Venedig zu pendeln, haben die einzelnen Mitglieder genügend Zeit, sich ihrer Herzensangelegenheiten mit besonderer Hingabe anzunehmen.

Turbulente Ereignisse

Da ist Skylar (Drew Barrymore), ganz höhere Tochter, die soeben im Begriff ist, sich standesgemäß mit Holden (Edward Norton) zu verloben; da sind die Eltern, Steffie (Goldie Hawn) und Bob (Alan Alda), fast schon penetrant aufgeschlossene Demokraten und in jeweils zweiter Ehe eine geradezu perfektes Paar, da sind Kinder aus erster und zweiter Ehe, sowie ein seniler Großvater, da ist Joe (Woody Allen), Steffies Ex-Mann, den eine Frau nach der anderen verläßt und der gerade sein Glück mit der schönen Von (Julia Roberts) versucht, und da ist Djuna (Natasha Lyonne), die sich permanent neu verknallt und das ganze Geschehen mit dem altklug abgeklärten Ton einer 20jährigen kommentiert. Als Skylar Holdens Verlobungsring verschluckt und bald Gefallen am rauhen Charme eines Ex-Häftlings (Tim Roth) findet, ist das nur der Auftakt zu einer langen Reihe von Turbulenzen. Plötzlich sagt keiner mehr „I love you“, stattdessen einige „I'm thru with love“ - ich hab' die Liebe satt.

Genauer gesagt: sie singen es. Denn Allens neuer Film ist ein Musical. Aber keines der überladenen Art, wie sie heute fast allerorten in eigens errichteten Hallen hochgezüchtet werden. Auch keins im Stil der 70er, in denen Streisand & Co. meist ohne jeden nachvollziehbaren Anlaß zu tirilieren beginnen. Vielmehr geht Allen, der schon in „Radio Days“ sehr genau zwischen nostalgischem Zauber und Zuckerwerk zu unterscheiden wußte, zurück zum Ursprung, in die 40er Jahre, als Gene Kelly im Regen sang, durch Pfützen fegte, übers Pflaster wirbelte und tanzend eine Laterne umschlang, als ein ganzer Film dem Rhythmus der Musik gehorchte, auch in den Momenten, in denen gar keine erklang.

Deshalb kommt es auch gar nicht darauf an, ob Allens prominente Akteure singen können (sie tun es übrigens recht passabel), ob sie zwei ansehnliche Tanzschritte hinkriegen oder nicht – entscheidend für die ungemein animierende Atmosphäre des Films ist, wie leichtfüßig und federnd er wirkt, wieviel Eleganz und Elan der Regisseur ihm. Dazu tragen fraglos auch die ironischen Szenen bei, in denen professionelle Tänzer als fideles Geisterballett verblichener Familienmitglieder oder als Marx-Brothers glänzen dürfen.

Mittendrin schafft Allen aber immer auch geschickt Zwischenräume für manchen ganz aufrichtig gemeinten romantischen Ton, manch melancholische Minute. Allens spezifischer Humor befeuert hier, wie in seinen besten Zeiten, sämtliche Dialoge, egal ob er trocken ins Zwerchfell oder zart in die Herzgegend zielt. So hat sein neues Werk am Ende jedes Stimmungstief fortgefegt. Am liebsten möchte man gleich wieder einmal sagen „I love you“ – ach was, singen! Tamara Dotterweich

 

Daheim bei Mia Farrow und den vielen Kindern muß Woody Allen eine Menge gelernt haben. Gut, daß man als Filmemacher immer sein Kino hat, um die schlimmsten Alpträume in die süßesten Wonnen zu verwandeln. Alles Gezänk löst sich in Luft auf, das Familienleben gestaltet sich durchwegs heiter und wenn gar nichts mehr geht, legen die Kontrahenten einfach eine flotte Sohle aufs Parkett. Woody hat nach 26 Filmen und ordentlichen Erschütterungen die Leichtigkeit des Seins im Musicalfach entdeckt.

Also: Zurücklehnen und den Zauber der dreißiger und vierziger Jahre in einem Genre auskosten, das weit weg vom Boden der Tatsachen seine eigenen Realitäten schafft. Wenn Sie zum Beispiel in New York einen Verlobungsring kaufen wollen und beim Preis in Ohnmacht fallen, legen Sie besser mit dem Juwelier eine Tanznummer hin. Woody Allens Aspirant macht es so. Aber trotzdem nicht vergessen, daß wir in den Neunzigern leben und ätzenden Ärger haben, besonders mit den vorwitzigen Kids.

Und wenn wir alle Woody Allen wären, dürften wir natürlich die schönsten Frauen umgarnen. Der Regisseur hat sich wieder so eine mighty aphrodite zugelegt wie im letzten Film, nur nicht so bedrohlich. Nicht auszudenken, einer joggenden Julia Roberts ganz unschuldig auf einem Brückchen in Venedig über den Weg zu laufen. Sie im Leibchen, er sehr matt. Woody in seiner Lieblingsrolle als nervengepeitschter Versager spielt den Schriftsteller Joe, ansässig in Paris mit erwachsener Tochter in New York. Aber jetzt ist er erst mal hinter der Roberts her, vis à vis die Palazzi, die Hotels, die sich der normal Sterbliche nicht leisten kann...

Doch stopp. In diesem Film können sich die Protagonisten alles leisten. Park Avenue und ein dollarschwerer Dad, unwiderstehlich eine von Allens zuverlässigsten Größen, Alan Alda. Neu dazugekommen ist die ewig junge Goldie Hawn, die superreiche Ex von Joe, falls jemand Genaueres über die Beziehungen wissen will. Dem Geschichtenerfinder Allen würde es im augenblicklichen Stadium allerdings nicht einfallen, die wohlhabenden Leute zu kritisieren. Nein, höchstens ihre kleinen, liberalen Spinnereien nimmt er aufs Korn. Mama lädt ein Opfer der Justiz in ihre teure Wohnung ein, und der Typ (Tim Roth) schnappt sich das Töchterlein.

Keine Sorge, es kommt alles wieder nach Klassenzugehörigkeit ins Lot. Mittlerweile schwitzt Joe wegen seines weiblichen Anhangs Blut und Wasser, möchte gern vom Eiffelturm springen, nimmt dann aber lieber die Roberts oder auch wieder nicht. Na ja, es wird dazu herzergreifend gesungen, ob man's kann oder nicht. Als Hommage an seine eigenen Filme spickt der Meister des unausgewogenen Seelenlebens seine duftigen Szenen mit Anleihen aus eigener Werkstatt und dichtet neue Späße hinzu. Einmal pustet er seinem Schwarm Julia vorschriftsmäßig zwischen die Schulterblätter. Soll sie wahnsinnig anmachen. Man muß ihm dabei zusehen.

Die Schönheit des Swing hebt Divergenzen auf. Mit einer Gewißheit, als hätte er nie etwas anderes gemacht, integriert Allen die Stile. Keine Ahnung, wie oft er schon den blühenden Central Park im Kinobild hatte die letzten Jahrzehnte. Aber es paßt. Und wer möchte nicht einmal einen Weihnachtsball in der Pariser Cinematheque erleben, zu Ehren von Groucho Marx, alle mit Bärtchen. Es ist nämlich so, daß die Upper Class die Feiertage im Ritz verbringt und dann solche Einladungen bekommt, selbstverständlich.

Wie dann der Meister abhebt. Unter der Seinebrücke küßt ihn Goldie Hawn, ehe sie erinnerungsselig durch die Lüfte schwebt und seine Melancholie mit fortnimmt. Es ist schon wahr: Lieber reich und glücklich als arm und krank. Weitere Sozialanalysen ausgeschlossen. Die Woody-Allen-Fan-Gemeinde ist aufgefordert, die Augen zu schließen und die Bilder nochmals vorbeiziehen zu lassen. Zum Nachgenuß eines zauberhaften Sommerspaßes.

Und jetzt die reale Nachricht. Der Filmemacher Allen ist ein fleißiger Künst ler. Sein jüngstes Werk „Deconstructing Harry“ wird zur Eröffnung der Filmbiennale von Venedig am 27. August uraufgeführt. Schöpferische Pausen braucht er nicht, nur die Kamera und sein eigenes Drehbuch. Danach werden Leben und Arbeit, Phantasie und Wirklichkeit eins. INGE RAUH

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