Traurig wie ein Clown
„Brassed off“ von Mark Herman: Der Untergang einer Bergarbeiterstadt mit Pauken und Trompeten

Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie? Weder noch, oder doch wohl beides. Ein lustiger, trauriger Film aus dem armen, arbeitslosen England, der aus dem Frust keine Mode macht (wie „Trainspotting“), sondern mit feiner Zurückhaltung von kleinen Leuten erzählt und von großen Problemen. Im ganzen Land sterben die Zechen, so auch in Grimley. Die Kohle hat keine Zukunft, heißt es, und die Arbeiter wissen nicht, ob sie für ihre Grube kämpfen sollen oder sich lieber abfinden lassen. Das ist das eine. Das andere ist, daß sich die Kumpels aus Yorkshire seit langen Jahren in ihrer Freizeit treffen und gemeinsam musizieren. Zugegeben mit mäßigem Erfolg, jedoch eisern geführt vom alten Danny (Pete Postlethwaite), der darin seine einzige Lebensaufgabe sieht. Wie kann man ihm schonend beibringen, daß es ohne Zeche auch keine Zechenblaskapelle mehr geben wird?

Mark Herman hat „Brassed off“ gedreht. Mit genauem Blick und jenem sozialen Bewußtsein, das es nur im englischen Kino gibt. So ist ihm ein Film gelungen, der weiß, was es bedeutet, wenn die Ehefrauen im Supermarkt zahlen wollen und wieder einmal das Geld nicht reicht, und dies auch ohne jedes Pathos zu zeigen ver steht: als alltägliche Katastrophe, als Scham, mit der man längst zu leben gelernt hat. Das ist zum Lachen und zum Weinen zugleich. Einer der Arbeiter hat auch noch Schulden. Deshalb spielt er für kleine Kinder den Clown. Als er eines Tags nach Hause kommt, sind nicht nur die Möbel, sondern auch Frau und Familie fort. Dann steht er, noch bunt kostümiert, in der leeren Wohnung, wankend in den riesigen Schuhen, in denen nur Clowns laufen können.

„Brassed off“ bewegt – und braucht dabei seine Karten gar nicht ganz auszuspielen. Daß die männliche Musikgruppe mit der Hornistin Gloria (Tara Fitzgerald) unerwartet weiblichen Zuwachs bekommt, daß sich zwischen ihr und Jugendfreund Andy (Ewan McGregor) eine Beziehung anbahnt, die wiederum dadurch gefährdet wird, daß Gloria für die Grubenleitung arbeitet – all dies wird eben nicht dramatisch hochgespielt, romantisch oder rebellisch verklärt. Erst zum Ende kommt das Kino und fordert seinen Teil. Einen letzten Triumph, Predigt und Küsse. Pete Postlethwaite aber wird auch dann ernst blicken: er und der Film wissen, wie es in Wirklichkeit weitergeht. lupus

 

In der kleinen, dreckigen Bergarbeiterstadt Grimley im nordenglischen Yorkshire erlebt das Ritual des Schichtwechsels kurz vor dem Aussterben groteske Höhepunkte: Wenn Harry (Jim Carter) morgens vom Pütt heimkommt, rauscht seine Gattin los zur Mahnwache gegen die drohende Schließung der Zeche. Wenn sie zurückkommt, zockelt er mit seinem Euphonium, einem Baritonflügelhorn, zur Orchesterprobe. Frostig begrüßt man sich jedesmal, bis es schließlich aus der Frau herausplatzt: Wo denn Harrys Elan geblieben sei! Statt Arbeitskampf jetzt nur noch Blasmusik? Der hoffnungslose Harry kann sich ein bißchen Bosheit nicht verkneifen: „Uns hört man wenigstens zu.“ Mit dem besten Argument eines Blechbläsers läßt er sie stehen.

In Wahrheit steht es natürlich um das Bergmannsorchester so schlimm wie um die Zeche von Grimley. Regisseur und Drehbuchautor Mark Herman („Irren ist mörderisch“) hat die Handlung seines Films „Brassed Off – Mit Pauken und Trompeten“ nicht ohne Grund ins Jahr 1992 verlegt. Mittlerweile dürfte die aggressive Abschaffungspolitik unter Thatcher ganze Arbeit geleistet haben, und mit der Lebensgrundlage der Kumpels drohte auch ihr kämpferischer Stolz in der Massenarbeitslosigkeit zu versacken.

Doch im englischen Kino gibt der „working class hero“ auch ohne Arbeit nicht auf. Unter der Fuchtel ihres Orchsterleiters Danny (großartig wie immer: Pete Postlethwaite) blasen die von der Zechenleitung ausgetricksten Kumpels noch einmal, was die Staublunge hergibt. Daß es dabei unter der ruppigen Oberfläche entsetzlich gefühlvoll zugeht, versteht sich, und Mark Hermans Geschichte schrammt manchmal schon arg nah an nostalgischer Rührseligkeit entlang.

Da ist zum Beispiel die bittersüße Liebesaffaire zwischen Kumpel Andy (Jung-Star Ewan McGregor aus „Trainspotting“ und „Emma“) und der Kauffrau Gloria (Tara Fitzgerald), die im Auftrag der Zechenleitung reichlich naiv ein Alibigutachten erstellt. Das geht erst mal genauso schief wie die Finanzjongladen von Jim (Philip Jackson), der sich schließlich sogar auf der Zeche spektakulär zu erhängen versucht. Pathos und Understatement geben sich in Bild und Ton ständig die Klinke in die Hand, bis sich die Einzelschicksale im siegreichen Dröhnen ihres Orchesters in der Royal Albert Hall in Hoffnung vereinen.

Das ist vielleicht alles ein bißchen dick aufgetragen, aber ohne Leidenschaft gibt's weder Blasmusik noch Lebensmut. -wu-

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