Bizet oder die Techno-Oper
„Clubbed to Death“, ein bizarrer Musikfilm der Französin Yolande Zauberman zur Gegenwartsszene
Wie ist das, eine Techno-Oper im Film? Nicht so weit weg von Georges Bizet und den Wirkungen der „Carmen“. Insofern hat die Französin Yolande Zauberman kein innovatives Wunder vollbracht, sondern nur neue Töne und neue Bilder geliefert. Sie begab sich dazu in die Vorstädte der neunziger Jahre und nutzte ihr Reservoir als blendende Dokumentaristin. Mit der Handkamera ließ sie mitten im Gewühl einer gigantischen Disco quasi authentisch das Lebensgefühl einer anderen, der „Dritten Welt“ ablichten.

Aber was heißt Authenzität. Zaubermans Ausflug an die Ränder namenloser Metropolen ist kunstvoll inszeniert. Der Pulsschlag der Musik gibt den gesamten Rhythmus vor, in dem sich fremde Figuren bewegen, die keine Geschichte haben und nie eine erzählen werden. Aus diesem Nichts taucht die zwanzigjährige Lola auf (Elodie Bouchet spielt mehr wie ein dreizehnjähriger Teenager), sie ist im Nachtbus eingeschlafen und landet plötzlich auf unbekanntem Terrain.

Dort allerdings gibt es kein Publikum in fröhlicher Raver-Verkleidung, dort mischen sich die Emigranten in eine Szene, die nach eigenen Gesetzen lebt. Die Regisseurin macht eine Techno-Kathedrale zur Fluchtburg für die Unbehausten, im dröhnenden Sound und dem Wirbel von Ecstasy überspitzt sie die besten MTV-Videos. Der Perspektivenwechsel gilt der überwältigten Lola, die wie alle anderen nur eins erlebt: Sex, Drugs und Musik. Diesem Sog entzieht sich der Zuschauer nicht, auch wenn er keine Ahnung hat, wie solche echten oder falschen Gegenwelten funktionieren.

Dies ist die Folie für ein eingeübtes Romeo- und Julia-Thema voller bizarrer Reize und magischer Bilder. Lola trifft Emir, der mit der Tänzerin Saida (beeindruckend: Béatrice Dalle) zusammenlebt. Beide hängen am Kokain und finden sich in der Sucht. Befreiend die neue Liebe, die wortkarge Annäherung an diese Kindfrau, die dem psychischen und dem physischen Elend vielleicht ein Ende machen kann. Die Regisseurin deutet nichts, glücklicherweise, aber ihr Kunstwillen und ihre visuelle Ästhetik grenzen auch jede Spontaneität aus.

Unter der Schutzhülle einer brillanten Belichtungs- und Schnitt-Technik laufen wohlbekannte Rituale ab. Der Ex-Boxer Emir wird clean und stellt sich erneut dem Kampf, begleicht somit alte Rechnungen und steht zwar geschlagen, aber keineswegs als Verlierer auf. Denn die Regisseurin Zauberman hat innerhalb ihrer Bannmeile das positive Gefühl gegen die Trostlosigkeit gesetzt: Lola streichelt den blutenden Helden.

In die Trivialität mischt sich der Sinn für sehr gegenwärtige Befindlichkeit. Mit Szenen voller starker Bilder, die die Stadtgesellschaften längst teilen. Wer kommt schon an diese öden Bushaltestellen im Staub und Dreck verslumter Vororte und wartet dort auf seinen Lover? Yolande Zaubermans Talent läßt den Zwiespalt offen. Sie manövriert hart am Kitsch und strengt ihren Blick an, um die Fakten nicht aus dem Auge zu verlieren. „Clubbed to Death“ ist im übrigen unübersetzbar und bedeutet entweder „Tanzen bis zum Umfallen“ oder auch „geprügelt werden“. Beides trifft zu. (Meisengeige Nürnberg).

INGE RAUH

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