„Fletchers Visionen“: Richard Donners witziger Großstadt-Thriller mit einem bravourösen Mel Gibson
Ist der Killer echt oder falsch?

Das FBI vertuscht die Landung von Außerirdischen, und Prinzessin Diana wurde von der englischen Königsfamilie beseitigt. Diese und andere Verschwörungstheorien sind in unserer sensationsgierigen Gesellschaft so populär wie Julia Roberts oder Mel Gibson. Was liegt also näher, als einen Film mit beiden Stars zu drehen, der Konspiration zum Leitthema hat? „Fletcher's Visionen“ heißt das neue Werk von Regisseur Richard Donner und ist ein Thriller mit ironischen Untertönen.

Mel Gibson spielt Jerry Fletcher, einen Taxifahrer, der in seiner Freizeit Verschwörungen aufdeckt. Er glaubt unter anderem, daß Erdbeben von der CIA gezielt als Waffe benutzt werden, oder daß die „Grateful Dead“ britische Geheimagenten sind. Natürlich nimmt niemand diesen hypermotorischen Unruhestifter, der sogar seinen Kühlschrank mit einem Sicherheitsschloß sichert, ernst, und auch Fletcher selbst hat nur zu einer Person vertrauen: Alice (Julia Roberts), eine Angestellte des Justizministeriums, ist Jerrys große Liebe. Leider ist aber auch sie weder von seinen Theorien, noch von seinen Avancen begeistert.

Die Fronten scheinen geklärt: Ein Paranoider versucht mit abstrusen Behauptungen die Aufmerksamkeit seiner Herz-Dame zu gewinnen. Als aber dieser „Don Quijote der Neuzeit“ entführt, und von einem mysteriösen Mann (Patrick Stewart) gefoltert wird, ändert sich die Situation schlagartig. Fletcher gelingt es, sich aus den Fängen des Peinigers zu befreien und sucht Zuflucht bei Alice. Nach und nach kommt die Wahrheit ans Licht und beide finden sich inmitten einer von Jerrys Verschwörungstories wieder.

Richard Donner, der mit der mit Gibson, bereits die drei actiongeladenen Teile von „Lethal Weapon“ drehte, versucht sich hier an einer ruhigeren Form des Thrillers. Er bricht in „Fletcher's Visioinen“ mit üblichen Versatzstücken: Keine exzessiven Schießereien und schon gar keine Verfolgungsjagden. Statt dessen setzt er voll auf seine Schauspieler. Mel Gibson stellt den manischen Fletcher mit einer Intensität dar, zu der er sonst in seinen Großproduktionen selten Gelegenheit hat, und auch Julia Roberts wirkt in ihrer Rolle der hin- und hergerissenen Alice überzeugend.

Das augenscheinliche Ziel des Regisseurs, einen Thriller im Stile von Schlesingers „Marathon-Mann“ zu schaffen, gelingt aber doch nicht ganz; auch wenn Patrick Stewart, wie einst Laurence Olivier, als eiskalter Sadist glänzt, fehlt die Spannung, die das filmische Vorbild zum Klassiker machte. dilo

 

Wahre Kinohelden sterben nicht. Augenzwinkernd bestätigt der Action-Routinier Richard Donner diese Gewißheit. Wie könnte er sein Publikum mit dem Gefühl nach Hause schicken, daß Mel Gibson ausgerechnet in dem Moment als toter Mann auf der Strecke bleibt, wo er eine seiner besten Rollen absolviert. In letzter Sekunde taucht er heil wieder auf und beobachtet die Geliebte, wie die zu Pferde elegante Sprünge macht. Dann singt er im Bund mit seinen Beschützern „Pretty Baby“. Alles noch mal gut gegangen.

Damit ist Donner ein überraschend witziger, fabelhaft gespielter Großstadt-Thriller gelungen, der mit der Paranoia des elektronischen Zeitalters operiert. Jeder könnte manipuliert und überwacht sein, von Satelliten und Strichcodes, von Blinkern an Verkehrszeichen und vom CIA sowieso. Der Taxifahrer Jerry Fletcher quatscht mit solchen Ideen seine Fahrgäste voll, mancher ist schon verschwunden, ehe sich der Redeschwall gelegt hat.

Doch die Narren sind die Weisen im Leben. Richard Donner gibt Mel Gibson jede Chance, die Spannung auf die irrlichternde Figur dieses Fletcher zu konzentrieren, der den Angestellten im Justizministerium auf den Nerv geht und nur in der empfindlichen Anwältin Alice Sutton eine Fürsprecherin findet. Julia Roberts, leicht als leidendes Pflänzchen überfordert, kann sich ganz nach Maß verausgaben, weil ihr Partner ohnedies einen halben Schritt voraus ist. Und da keiner weiß, wie die Wahnsinnspartie ausgeht, bleiben die beiden intensiv am Ball.

Nach neuestem US-Trend schöpft das Drehbuch die Möglichkeiten des Persönlichkeitstausches aus: Ist der Killer echt oder umgedreht? Ist Fletcher nur ein bißchen plemplem oder gefährlich? Seine Wohnung jedenfalls könnte nicht mal ein Panzerknacker aufkriegen, selbst der Kühlschrank hat ein Vorhängeschloß, und bei der Kaffeedose muß man sich die Tresornummer merken. Doch der Mann weiß, was er tut. Geschickt manipuliert Donner samt seines manipulierten Helden auch die Zuschauer, dank eines Gibson, der sich vom Schema des harten Burschen endgültig löst.

Mustergültig, wie verwundbar er verrückt spielt und damit trotz gewaltiger Ballerei und bedrohlicher Helikopterjagden einer fragilen Liebesgeschichte Raum gibt. Da muß die scheue Alice die Waffen strecken, vor diesem nervösen und überwachen Solo-Artisten, den die Psychiater dunkler Mächte schon auf ihrer Seite glauben. Er wiederum glaubt an gar nichts mehr, nicht ans herrschende System und erst recht nicht an das, was die tägliche Nachricht den Bürgern so weismacht.

Insofern erlauben sich der Handwerker Donner („Lethal Weapon“) und der Star Gibson mehr Subversion als Hollywood gewöhnlich recht ist.

INGE RAUH

Homepage von Fletchers Visionen (engl.)

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