Konsequenter
als die Chippendales: Der Film Ganz oder gar nicht Wo Mann wirklich alles zeigt |
Verzweiflung ist nicht lustig, es sei denn man ist Zuschauer und sitzt in sicherer Distanz zum Geschehen in einem gemütlichen Kinosessel. Dies beweist mal wieder ein britischer Regisseur: Ganz oder gar nicht, von Peter Cattaneo inszeniert, ist eine Geschichte über verzweifelte Menschen in einer verzweifelten Lage, die aber vor Humor und Energie nur so überschäumt. Sheffield, einst Vorzeigestadt der britischen Stahlproduktion, ist heute nur noch ein heruntergekommenes Städtchen, in dem Arbeitslosigkeit an der Tagesordnung und ein Auftritt der Chippendales ein Höhepunkt im kulturellen Programm ist. Bei eben dieser Veranstaltung, in der Männer unerwünscht sind, schleicht sich Gaz (Robert Carlyle) durch das Klofenster hinein und erlebt den Schock seines Lebens. Eine Horde von enthemmten Frauen johlt und jubelt strippenden Coverboys zu. Das Lustobjekt Mann Doch nach dem Motto, was die können, kann ich schon lange, sieht der Arbeitslose dadurch die Chance, für den Unterhalt seines bei der Mutter lebenden Sohnes aufzukommen. Eine männliche Striptease-Gruppe, die im Gegensatz zu den amerikanischen Muskelpaketen alles zeigt, könnte, so glaubt er, die Möglichkeit sein, um einen Haufen Geld zu machen. Nur leider sind die Männer, die Gaz um sich schart, alles andere als Traummänner. Von Übergewicht über Hühnerbrust bis hin zu Hüftschaden ist alles vertre ten, was der gemeine Cool Water-Man nicht haben sollte. In einer entwaffnend unverkrampften Art und Weise werden hier Probleme des Körperkults und Schönheitswahns präsentiert und zur Abwechslung mal in die Männerwelt hineingetragen. Was passiert, wenn sich das angeblich starke Geschlecht als Lustobjekt fühlt? Ist er zu klein oder zu groß? Ist der Charakter nicht vielleicht wichtiger? Diese und andere Fragen stellen sich die Männer, denen die Verzweiflung Mut gibt. Mut, der sich auszahlt, für
Protagonisten, wie für das Kinopublikum. Ganz oder
gar nicht ist ein wundervoller Film in dem man
nicht über die Verzweifelten lacht, sondern mit ihnen. dilo |
Zwischen Mrs. Thatchers politischer Demontage des working class hero und seiner cineastischen Wiederaufbereitung zum klassenbewußten Einzelkämpfer mit Stempelgeld ist eine Menge Zeit vergangen. Von Ausnahmen wie Ken Loach und Stephen Frears mal abgesehen, war bei der überwiegenden Mehrheit der britischen Filmschaffenden zu diesem Thema wohl erst mal eine ganze Weile Schluß mit lustig. Inzwischen gehören die Empfänger von Stütze zum festen Personal des aktuellen Unterhaltungskinos. Massenarbeitslosigkeit quasi im Rückblick als drohende Katrastrophe erlaubt zumindest tragikomische Blickwinkel, wenn auch tränenfeucht wie in Mark Hermans Brassed Off. Mit ganz oder gar nicht ist Regisseur Cattaneo bei der Kopf-Hoch-Komödie für Langzeitarbeitslose gelandet. Wenn das mal nicht zur Masche wird. Denn wer mag schon über das allzu schlichte und unglaubwürdige Einfädeln einer schenkelklatschverdächtigen Männer-Strip-Show meckern, wenn gleichzeitig das Elend der Arbeitslosigkeit zur Diskussion steht. Und zwar so, als hätte es alle Beteiligten erst gestern erwischt. So will es nämlich das Drehbuch von Simon Beaufoy, das mit Jux und Tollerei jede Menge Bitterernstes zu transportieren vorgibt. Die Truppe arbeitsloser Stahlarbeiter unter der Führung von Gaz (Robert Carlyle) plant mit ihrer Show nicht nur ein paar Pfund extra zu verdienen, sie soll unübersehbar mit ihren heimlichen Tanz- und Ausziehübungen eine lobenswerte Persönlichkeitsentwicklung durchmachen. So liefert das Dickerchen Dave nicht nur Lacher, sondern gewinnt an Lebensmut, weil es sich zu strippen traut. Die Mischung aus nicht immer ganz taufrischer Situationskomik und allezeit aufrechter Denkungsart läßt auch schwächere Einfälle mit durchgehen. Regisseur Cattaneo hat zumindest eine ausdrucksstarke Männerriege zusammengestellt, die sich in flott inszenierten Schritten anschickt, über ihren Malocher-Macho-Schatten zu springen. Und die Kerle sind auch noch ehrgeizig: nicht die Parodie von Profis wie den Chippendales ist ihr Ziel, sondern deren Übertrumpfung durch gänzliche Hüllenlosigkeit. Eher gut gemeint und humoristisch als bissig und pfiffig endet die Arbeitsloseninitiative dann doch nur mit einem bunten Abend und dem Hintern zur Kamera. |
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