Zwischen Kühlschrank und Karriere
Dana Vávrovás erster Kinofilm: „Hunger – Sehnsucht nach Liebe“

„Jede Frau sollte ein Geheimnis haben“ – Lauras Aussage klingt nach Selbstbestimmung und gefestigter Identität. Doch das Geheimnis der hübschen Karrierefrau ist ein anderes. Laura hat dem Filmtitel entsprechend „Hunger – Sehnsucht nach Liebe“. Sie ist an Bulimie erkrankt.


Die empfindsame, aber im Geschäftsleben kühl auftretende Laura (Charlotte Flemming) verliebt sich in den Graffitikünstler Simon (Kai Wiesinger). Nicht nur, daß er neben der zartgebauten Laura wirkt wie ein Wonnenproppen; er sagt auch frei heraus, was er denkt und fühlt. Zum Beispiel: „Ich liebe dich.“ Ein Geständnis, dessen Offenheit Laura in Bedrängnis bringt. Denn zwar verspürt sie Zuneigung gegenüber Simon, hat aber zugleich Angst vor Nähe. Immer, wenn sie derart überfordert wird, beginnt sie, sich selbst zu hassen. Die Verzweiflung treibt sie an den Kühlschrank, wo sie zwanghaft essen muß bis zum Erbrechen. Lauras Bemühungen, dem Teufelskreis aus Sucht, Scham und Selbstbetrug zu entfliehen, stehen viele Rückschläge entgegen. Erst als sie nach und nach das Verhältnis zu ihrer Vergangenheit klärt und beginnt, sich selbst zu akzeptieren, ist ein Ende des Kreislaufs in Sicht.

Dana Vávrová, die Schauspielerin und Ehefrau Joseph Vilsmaiers, zeichnet mit ihrem Regiedebüt das Porträt einer bulimiekranken Frau (siehe auch nebenstehendes Interview). Damit berührt Vávrová ein weitgehend tabuisiertes Thema. Die Produktion „Hun ger“ begnügt sich nicht damit, das Schweigen zu brechen.

Der Film schreit die grausame Wirkung der Eß- und Brechsucht dem Kinozuschauer förmlich entgegen. Die Krankheit wird nicht nur angedeutet, sondern unmißverständlich in ihren verschiedenen Facetten gezeigt. Die Kamera macht vor nichts halt, nicht einmal vor einer Frau, die sich im Erbrochenen wälzt. Das wirkt manchmal abstoßend und häufig ergreifend. Es ist das Thema, das den Film trägt, und nicht die Handlung. Darüber können auch die hervorragenden Schauspieler wie Charlotte Flemming oder Kai Wiesinger nicht hinwegtäuschen. „Hunger“ ist vom Ansatz her sehr interessant, leicht verdaulich ist er nicht. müc

 

Persönliche Lebenskatastrophen haben meist keine spektakuläre Außenwirkung. Um so einschneidender bestimmen sie Denken und Handeln. Wenn das Kino davon erzählt, muß Dramatik aufgebaut werden, mit welchen Mitteln auch immer. Nur so erreicht man die Gefühle der Zuschauer. Die 29jährige Dana Vávrová, als Schauspielerin zumeist in den Filmen ihres Mannes Joseph Vilsmaier präsent, bemüht sich in ihrem Regiedebüt, über technische Versiertheit an ein sehr gegenwärtiges Problem heranzukommen. Bulimie bei jungen Frauen.

Vávrová hat sich auf ein durchgestyltes Ambiente eingelassen und ein Milieu entworfen, das auf jede Authentizität verzichtet. Da kann keine Emotion aufkommen genau für den Fall, daß die Lebenskatastrophe auch andere berührt. Außerdem arbeitet ihr Drehbuch nur darauf hin, eine Liebesgeschichte zum erhofft glücklichen Ende zu bringen, schlecht möglich bei einer nicht bewältigten Sucht.

Also sieht man wieder Bilder dieser arrivierten Dreißigjährigen, die sich deutsche Filmemacher als Identifikationsfiguren ausdenken. Catherine Flemming mit dem Model-Image der abgemagerten Kindfrau spielt die makellose Marketingchefin Laura, die ihre Schokoriegel im Tresor verstaut und picobello zur Geschäftskonferenz erscheint. Ihre Freßanfälle werden leitmotivisch angekündigt und dann mit einer einkreisenden Kamera als Schockerlebnis vor aufgerissenem Kühlschrank inszeniert. Das macht wohl als Horroreffekt etwas her, läßt aber kalt.

Außerdem sind die Konstellationen von Anfang an viel zu überschaubar. Die gequälte Laura trifft auf den aufgeschlossenen, spontanen Simon (Kai Wiesinger), ihr reines Gegenstück eben. Der gibt sich kreativ und direkt, sie wahrt Distanz, damit er ihr nicht auf die Schliche kommt. Die Folge sind Trennungen, Verletzungen, Schuldzuweisung und Versöhnung. Korrekt wie aus dem Handbuch für psychotische Störungen geht die Regisseurin mit ihrem Personal alle Phasen durch.

In Rück- und Einblendungen wird das Kindheitstrauma abgehandelt, Liebesverlust und Rollenzuweisung in einer wohlhabenden, gefühlsarmen Familie. Schon wieder gibt Christiane Hörbiger die lächelnde Xanthippe mit der Verve der Grande Dame, alles Klischee, nichts echt. Bei dieser Mama, völlig klar, muß die Tochter eine Therapie nach der anderen erfolglos abbrechen. Aber Simon, die Toskana und die wachsende Herzensbindung schaffen mehr als jede fachgerechte Betreuung. Noch einmal stellt Laura alle Hamstersachen auf den Tisch und stopft sich vor Simons Augen voll. Der Bann ist gebrochen, der Laie sieht es.

Mit ihren technischen Finessen, handwerklich einwandfrei, erreicht Vávrová ein ähnliches Verhältnis wie ihre Heldin zur Umwelt: Sie läßt keine Nähe zu. Statt dessen bietet die Zoom-Medienfabrik den Kritikern eine ausführliche Broschüre zum Thema Bulimie an. (CineCittà Nürnberg).

INGE RAUH

Informationen zu Anfangszeiten in den Kinos

zurück zur Titelseite

© NORDBAYERN INFONET