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Der eine ist Christ, der
andere Jude. Aber das interessiert die beiden
herzlich wenig. Wieso auch? Sie halten an ihrer
Freundschaft fest, auch wenn die ganze Welt gegen
sie ist. Die Juden sind die Kinder des Teufels,
sagen die Christen: doch das will Ivan nicht
glauben. Du sollst nicht mit einem Goi spielen,
sagen die Juden: doch das ist für Abraham kein
Gebot. Ivan (Sascha Jekow- lew) und Abraham (Roma
Alexandro- witsch), zwei Jungen in einem
polnischen Stetl der dreißiger Jahre, lassen
sich nicht sagen, was sie zu fühlen haben. Das
ist kein kindlicher Trotz, sondern das Wissen um
eine tiefe Wahrheit, die gegen alle Lügen und
Verleumdungen der Zeit verteidigt werden muß.
Als die Lage bedrohlich wird und der jüdische
Großvater mit Abraham das Dorf verlassen will,
reißen die beiden Kinder aus und fliehen
gemeinsam übers Land. Aber mit welchem Ziel, mit
welcher Zukunft?
Yolande Zaubermans erster
Spielfilm, der nach ihrem berauschenden
Techno-Trip Clubbed to Death nun
ebenfalls im Kino zu sehen ist (und nur auf den
ersten Blick völlig gegensätzlich erscheint),
bestätigt erneut das außergewöhnliche Talent
der jungen französischen Regisseurin. Als
spröde Elegie in Schwarzweiß führt Ivan
und Abraham in eine Vergangenheit, deren
Bebilderung durch den Horror des Holocausts wie
mit einem Bann belegt ist: Yolande Zauberman
bricht ihn, indem sie ohne lastenden Trauerflor,
aber auch ohne jede leichte Verklärung von einer
Welt berichtet, die für immer vernichtet wurde.
Nie ist das Leben im Stetl hier eine Idylle, nie
intime Gemütlichkeit.
Vielmehr werden die Grenzen
einer Lebensweise aufgezeigt, gegen die
Zaubermans Figuren in ihrem persönlichen
Freiheitsdrang unweigerlich stossen müssen.So
wie Ivan und Abraham. Oder wie Abrahams große
Schwester Rachel, die sich nicht, der Sitte
gemäß, von der Familie verheiraten lassen will,
sondern selbstbewußt den als Kommunist
verfolgten Aaron liebt: auch hier ist Flucht
nötig. Vielleicht werden sie weiterkommen als
die beiden Freunde. Zurück im Dorf müssen Ivan
und Abraham erkennen, daß die Welt nur noch
schlimmer geworden ist: sie brennt. lupus
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Bilder einer
vergangenen Zeit, Bilder von der jüdischen
Lebenswelt in Polen in den 30er Jahren: Die
französische Regisseurin Yolande Zauberman setzt
in ihrem Debütfilm Ivan und Abraham
ganz auf des Kinos ureigenste Ausdrucksweise,
erzählt in schwarzweißen Cinemascope-Bildern
von menschlichen Befindlichkeiten, die zeitlos
sind.
Freundschaft, Haß, Toleranz,
Glaube, Hoffnung findet man in einem Schtetl, in
dem Juden, Polen, Russen und Zigeuner zwar nicht
unbedingt mit-, aber auch nicht
gegeneinanderleben. Ungünstige Entwicklungen
vergiften das Klima jedoch zusehends.
Im Mittelpunkt von Zaubermans
elegischer Filmerzählung stehen zwei Jungen, der
eine Russe, der andere Jude, und ihre Familien.
Deren Schicksal fächert Zauberman mosaikartig
auf, in ruhigem Duktus, der die Beklemmung, die
von dem Zeitpanorama ausgeht, nur noch klarer zum
Ausdruck bringt.
Ausgestellte,
inszenierte Folklore ist Zaubermans
Sache nicht, ihr Kamera-Blick fokussiert die
kleinen Dinge, Gesten, Blicke. Hinter der
bedrückenden Enge strenger Traditionen sucht die
Regisseurin die Poesie, kreiert in langen
Einstellungen und wunderschön arrangierten
Tableaus, die rein gar nichts von
Sozialromantizismus an sich haben, eine
intensive, ja innige Atmosphäre.
Kein Bild ist in Zaubermans
anrührender Fabel zuviel, hier wird nicht
nachträglich und mit viel Aufwand ein lärmender
historisierender Dekor-Popanz aufgebaut, sondern
beinahe keusch einer vergangenen Zeit
stimmungsvoll fabulierend nachgespürt. mko
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