Verliebte Jungs: Hettie MacDonalds
"Beautiful Thing"

Selbst über der schäbigsten Sozialbausiedlung erscheint irgendwann ein Regenbogen, und das geschieht hier gleich zu Beginn. Sintfluten der einen oder anderen Art sind nicht mehr zu befürchten, bald herrschen Friede, Freude, Eierkuchen. Auch wenn Jamie (Glen Berry) in der Schule gehänselt wird und sich mit seiner Mutter ständig in den Haaren liegt. Auch wenn Ste (Scott Neal) zunächst von Vater und Bruder verprügelt wird und gehalten wird wie ein Hund. Zögernd zuerst, dann ziemlich zielstrebig kommen sich die beiden Nachbarsjungen aus der betongrauen Londoner Vorstadt näher - und entdecken, daß sie sich lieben. Wie laut darf man bei dünnen Wänden stöhnen?

"Beautiful Thing" ist und bleibt der nette Film von nebenan: mit einer englischen Working-Class, die zwar ein reichlich ordinäres Mundwerk hat, aber das Herz auf dem rechten Fleck. Auch sie kann (und muß) schließlich verkraften, daß Jamie und Ste schwul sind. Bleibt ihr heutzutage etwas anderes übrig? Zum kitschigen Schluß tanzen die gleichgeschlechtlichen Pärchen utopisch auf dem Platz des Volkes und die Kamera dreht sich, solidarisch beglückt, mit im Kreis. So schön kann ein Coming-Out sein!

Zahme Romanze

Hettie MacDonald bewegt sich mit ihrem Regiedebüt in einem Milieu, das Altmeister wie Mike Leigh und Ken Loach, ohne an Komik zu verlieren, wesentlich schärfer und realistischer konturiert haben. "Beautiful Thing" sucht als zahme Teenagerromanze den kleinsten gemeinsamen Publikumsnenner und traut sich keinen einzigen Moment lang, irgendetwas zu riskieren. Jede zärtliche Berührung wird mit Gitarrenklängen gepolstert (damit niemand auf seinem Sitz unruhig wird), und natürlich bügeln auch Schwule sauber ihre kleinkarierten Hemden.

Vielleicht kommt der Film nur ein paar Jahrzehnte zu spät. Zuerst baut er Homosexualität wieder einmal zum Problem auf (als wäre man darüber, zumindest im Kino, nicht schon längst hinweg), um dann, nach den obligatorischen Tränen und Offenbarungen, ins reibungslose Happy-End hineinzuflutschen. Ein dicker Gleitfilm aus lehrstückhafter Toleranz macht's möglich - gefühlsecht ist etwas anderes. lupus

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