Wenige Stunden bis Sonnenaufgang
Abel Ferraras "Das Begräbnis": Familientragödie im Mafia-Genre

In dieser Nacht schläft niemand im Hause der Tempios. Im Wohnzimmer liegt Johnny, der jüngste der italienischen Einwandererfamilie, aufgebahrt in einem Sarg. Man hat ihn erschossen, als er aus dem Kino kam. Ray Tempio, sein ältester Bruder, und Cesarino glauben auch schon den Täter zu kennen: sie vermuten ihn in dem Fabrikanten Gaspare Spoglia (Benicio del Toro), in dessen Auftrag die Tempios die streikbereiten Gewerkschaften unterwandert haben. Denn Johnny (Vincent Gallo) stand als Kommunist als einziger auf der Seite der Arbeiter und er ging mit Gaspares Frau ins Bett - gibt es ein besseres Motiv für einen Mord?

Die wenigen Stunden bis zum nächsten Sonnenaufgang füllen die gesamte Zeit von Abel Ferraras neuem Film "Das Begräbnis", der dieses Jahr in Venedig hoch gelobt wurde und dann doch leer ausging. Und am Ende steht eine Abrechnung, wenn auch eine ganz andere als erwartet. Denn Ferrara schafft es, im Genre des Mafiafilms eine Familientragödie im klassischen Sinn zu entwickeln. Schonungslos, wie man es vom Regisseur spätestens seit "Bad Lieutenant" kennt, werden die Figuren ihn ihrer jeweils eigenen psychischen Beschädigung bloßgelegt. So wurde Ray (Christopher Walken in zynischer, unnahbarer Kälte) bereits als kleiner Junge zu einem Mord gezwungen, als er vor den Augen der Älteren einen gefesselten Mann erschießen mußte. Seinen katholischen Glauben hat er in einen Freibrief für gewissenloses Handeln uminterpretiert: "Wenn ich Böses tue, dann nur, weil Gott es nicht verhindert." Cesarino Tempio (Christopher Penn in stets unsicherer Balance zwischen Furor und Trauer) hat als Junge den Selbstmord des Vaters miterlebt. Hilflos kämpft er gegen seine Depressionen und seine Gewalttätigkeit an.

Einen einigermaßen klaren Kopf bewahren nur die Frauen, sie haben eingeheiratet, ihnen wurden nicht die seelischen Schäden des Tempino-Clans vererbt. Jean (die hier abgebildete Isabella Rossellini in verzweifelter Beherrschung) fordert an Johnnys Sarg von ihrem Mann, auf Rache zu verzichten. Clara (Annabella Sciorra) will Cesarino zu einer Therapie überreden. "Halt's Maul." antwortet er. Die Frauen, sie bleiben nur schmückendes Beiwerk, Randfiguren, die den Lauf der Dinge nicht aufhalten können. Dieser Chauvinismus eines Männer-Clans, die Untermalung vieler Szenen mit schwerer Musik durchbrechen das Mafia-Genre nicht, im Gegenteil: Ferrara schwelgt förmlich in den Möglichkeiten, die ihm die Prohibitionszeit der 30er Jahre bietet - Swingeinlagen im Nachtclub, Lüsternheiten beim Pornofilm im Hinterzimmer, alles vorhanden und alles getaucht in große Düsternis. "Das Begräbnis" ist großes Kino, das sich bewußt dem betörenden, tödlichen Rausch der Sinne hingibt. Thomas Heinold

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