Greenaways Film "Die
Bettlektüre": junge, schöne Körper
Bis die Männer zum Pinsel greifen Eigentlich,
so behauptet der englische Regisseur Peter Greenaway bei
jeder sich bietenden Gelegenheit, habe das Kino noch gar
nicht richtig begonnen. Was seit hundert Jahren auf der
Leinwand zu sehen sei, sei kaum anderes als altmodisch
bebilderte Literatur, armselig abgefilmtes Theater. Nun
denn. Peter Greenaway redet gern und viel, aber
vielleicht hat er einerseits - nonchalant über Griffith
und Eisenstein, Murnau und Lang, Welles und Fellini,
Buñuel und Bresson, Godard und Fassbinder (und einige
andere) hinwegsehend - sogar ein bißchen recht. Und
wäre "Die Bettlektüre", der neue Film von
Peter Greenaway, andererseits nicht so fürchterlich
langweilig, geschmacklos und in jeder Hinsicht
hanebüchen, man müßte der These glatt nachgehen.
Hat das Kino der Zukunft nichts anderes, nichts
Besseres zu erzählen? "Die junge, schöne Japanerin
Nagiko (Unser prokino plus-Foto: Vivian Wu mit Ewan
McGregor), die als Model arbeitet, kann nur erotische
Lust empfinden, wenn sie sich am ganzen Körper mit
kalligraphischen Schriftzeichen bemalen läßt . .
.", beginnt das Presseheft zu schwärmen. Schuld ist
der Vater, der die kleine Nagiko an ihrem Geburtstag
regelmäßig mit Tusche beschriftet hat. So hält Nagiko
süchtig ihren nackten Körper hin, bis die Männer zum
Pinsel greifen: rein kalligraphisch, versteht sich. Damit
die Lust dann wirklich erotisch wird, gesellt Greenaway
zur jungen, schönen Nagiko bald den jungen, schönen
Übersetzer Jerome (Ewan McGregor), so daß sich die
jungen, schönen, nackten Körper nach Herzenslust lieben
und bemalen können, zum Glück auch noch in mehreren
Sprachen.
"Die Bettlektüre" ist der Film eines
alternden Mannes und ausgereizten Künstlers,
pseudo-intellektueller Edelkitsch auf der Suche nach
exotischem Kitzel. Greenaways skurrile Geschichten, immer
schon frivol und gewaltig makaber, haben ihren Witz
verloren und ihre inszenatorische Strenge. Die frühen,
lustigen Filme, von "Der Kontrakt des
Zeichners" bis "Der Koch, der Dieb, seine Frau
und ihr Liebhaber", entwickelten eine absurde
Mechanik zwischen schwachen Männern (die scheitern und
sterben müssen) und starken Frauen (die siegen und neues
Leben schaffen), zwischen dem Chaos der Welt und dem
Versuch, sie erzählerisch zu ordnen.
Greenaways Körper haben kein Leben mehr und
seine Texte keinen Sinn. Menschen fungieren hier nur mehr
als Papier und sexuelles Spielzeug für eine ins Perverse
gespreizte Idiotie. Die Spiegelung von Nagikos Schicksal
im Leben der mittelalterlichen Hofdame Sei Shonagon und
ihrem sogenannten "Kopfkissenbuch" (im Original
heißt der Film auch "The Pillow Book") führt
genausowenig zu einer Vertiefung wie Greenaways
Experimente mit neuester Videotechnik. Wie schon in
"Prosperos Bücher" werden Bilder über- und
ineinander montiert, Schriften eingeblendet, Szenen
parallelisiert. Doch der Rausch ist künstlich, die
Bewegung falsch. Der Umgang mit den Bildern ist panisch
geworden: keines darf stehenbleiben, schon drängt das
nächste. Alles muß gezeigt werden, von allen Seiten,
schwarzweiß und farbig im schnellen Wechsel. Greenaway
will modern sein, und ist doch nur modisch. So
oberflächlich wie nie: dekorativ und mit einem seinen
eigenen Forderungen diametral entgegengesetzten Drang zur
überflüssigen Illustration. Wir empfehlen eine andere
Bettlektüre: die gute alte. lupus
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