Neil Jordans Denkmal für den irischen Bürgerkrieg „Michael Collins“
Mordkommandos und Moralapostel
Ein Untergrundkämpfer mit weißer Weste

Kritik aus der

Ein Mann verläßt gerade sein Haus, da naht ein Killer, feuert seinen Revolver leer und rast davon – auf einem Fahrrad! Terror in Irland anno 1918.

Großes hat sich Neil Jordan vorgenommen. Sein Wunschprojekt „Michael Collins“ will Historienfilm, Melodram und Politreißer in einem sein. Immerhin ist ihm ein Actionfilm kuriosen Zuschnitts gelungen: Jagdszenen durch Gewölbe, Treppenhäuser und Hinterhöfe, zu Fuß, im Schnauferl oder eben auf dem Drahtesel.

Michael Collins (1890 – 1922) gilt in Irland als Volksheld, in England als Terrorist und Ahnherr der IRA. Der Ire Jordan will Collins, den „Mann fürs Grobe“, von seinem konträren Nimbus befreien und ihn als komplexen Charakter porträtieren: Der Untergrundkämpfer, der vom Frieden träumt, der Gentleman mit dem Revolver im Hosenbund.

Dabei sind es drei Männer, die den Kampf um die Loslösung von England 1916 – 21 anführten: Eamon de Valera (Alan Rickman) agiert als Taktiker auf diplomatischem Parkett. Collins (Liam Neeson) ist der Stratege des Guerillakrieges, läßt Spitzel in den eigenen Reihen ermorden und organisiert Rollkommandos gegen Elite-Polizisten. Zwischen ihnen steht Harry Boland (Aidan Quinn), der interessanteste Charakter in der undankbarsten Rolle: Collins rechte Hand und de Valeras starker Arm, ein loyaler Diener zweier Herren.

Ein starkes Trio also, doch Neil Jordan konzentriert sich auf Collins und degradiert die Mitstreiter zu Bösewicht und tragischer Gestalt. Der Regisseur strebt unzweifelhaft die Demystifikation des Bürgerkrieges und seiner führenden Köpfe an. Collins' Wagemut und Enthusiasmus weichen bald nüchterner Taktik; die kurzen, heftigen Gewaltszenen beschönigen nichts, noch weiden sie sich am spektakulären Effekt; Jordan versteht es, die Eskalation der Gewalt als wechselseitiges Hochschaukeln unversöhn licher Lager zu zeigen, bis der Punkt erreicht ist, wo sich suppressive Gewalt und Gegenterror nicht mehr voneinander unterscheiden.

Doch um Collins zu entlasten, bringt sein Landsmann das fragwürdige Kunststück fertig, den Helden selbst keine Gewalttat ausüben zu lassen. Ein sonst hervorragender Liam Neeson (für diese Rolle eigentlich zu alt) betont die Skrupel seiner Figur so sehr, daß die brutalen Züge darunter verschwinden.

Obendrein konstruiert Jordan einen neuen Mythos: den des verratenen Friedensengels. Collins, der dem Londoner Vertrag (der die Etablierung des Freistaates Irland unter Verbleib der sechs Nordprovinzen zu Großbritannien festschrieb) zustimmte, wird als Verräter denunziert, die Gefährten fallen ihm in den Rücken und sein Ende wird mit allem Pathos eines Opfergangs inszeniert. Was sagt wohl der Historiker? Reika

  Kritik aus den

Die Angaben im Lexikon sind dürftig. Michael Collins, irischer Politiker, der zwischen 1919 und 1921 den Aufstand gegen die Briten organisierte. Er unterzeichnete den anglo-irischen Vertrag, wurde Generalstabschef und fiel 1922 im Kampf gegen die radikalen Vertragsgegner. Eine wogende Menschenmasse begleitete das Begräbnis des Volkshelden in Dublin. Neil Jordan, auch ein Ire und gar nicht gebucht auf Kino-Vorlagen für Freiheitsdramen seiner Insel, nimmt in diesem Augenblick das Pathos weg. Er zeigt Dokumentaraufnahmen oder das, was man im Film damit machen kann. Sie sprechen für sich.

Nun nützt es nichts, mit einer charismatischen Persönlichkeit alles erklären zu wollen, was mit Irlands blutiger Vergangenheit zu tun hat. Es muß einer wie Liam Neeson her, der jeden Einwand gegen überbordende Historien-Inszenierungen mit einem Blick und einer Geste wegwischt. Der Zuschauer wird gern annehmen, das war der Michael Collins, der die Engländer nach sieben Jahrhunderten Zwangsherrschaft in die Knie zwang, deren Spitzel eliminieren ließ und später auf die Vernunft des Dialogs statt erneut auf die Waffen setzte. Erst an diesem Punkt wird Neil Jordans Porträt schärfer.

Aus der Sicht der Rebellen entsteht das Bild von der Geburtsstunde der IRA. Das Dublin der beginnenden zwanziger Jahre im blaugrauen Dunst, Männer mit Hut, Schlips und Mantel auf dem Fahrrad unterwegs, geschützt durch ihr bürgerliches Auftreten und ihre Anonymität. Collins ist der Mann fürs Grobe, der weiß, mit welchen Taktiken der Feind zu schlagen ist. Aber: Die Revolution frißt ihre Kinder. Regisseur Jordan, der die frühe Kampf-Phase konventionell im Explosiv-Stil des Polit-Thrillers abhandelt, wird in dem Augenblick subtiler, indem er diesen tiefgreifenden Konflikt an zwei Gegenspielern zeigt.

Der gewieftere Politiker ist Eamon de Valera (daraus macht Alan Rickman eine interessante Studie), der den alten Weggefährten Collins zur Erfüllung höherer Ziele auflaufen läßt. Wie sehr sich Emotionen mit persönlichem Ehrgeiz verbinden und ein Desaster unausweichlich machen, führt Jordan vor. Weil der eine will, was der andere nicht kann, blutet das ganze Volk. Und weil Valeras Leute einen demokratisch abgesegneten Vertrag sabotieren, kommt es zum Bürgerkrieg. Der besiegelt die Teilung Irlands und hat den bis heute andauernden Terror in Ulster zur Folge.

Im Kino müssen Geschichtslektionen geschmückt sein. Volksheld Collins liiert sich mit der schönen Kitty (Julia Roberts kommt wieder über die Dekoration nicht hinaus), und im Gegenschnitt offenbart Neil Jordan Höhepunkt und Ende des Dramas. Während der vitale Collins zu Friedensverhandlungen in sein Stammland Cork reist, ersteht die Herzdame ihr Brautkleid. Liebe und Tod, erwartbar nah aneinander. Aber Liam Neeson ist der Trumpf in der Hand des Regisseurs, er spielt, was das Zeug hält - so selbstverständlich überzeugend, daß man doch noch an die Ehre wahrer Mannsbilder glauben mag.

Es gibt aber außerdem den großartigen Stephen Rea als unscheinbaren Detective, ohne den die IRA niemals zum Sieg gekommen wäre. Nationalstolz und Opfermut, Tugenden aus fragwürdigen patriotischen Heilslehren, sind in dieser Figur unpathetisch vereint. Wie auf seine Vermittlung hin ein argloses Dienstmädchen die brisantesten Geheimdienst-Informationen buchstäblich aus dem Hut zaubert, ist eine Pointe zum fintenreichen (und dann schon wieder harmlos wirkenden) Untergrundkampf. Es sieht nicht so aus, als sei er in diesem Teil Europas noch in diesem Jahrhundert zu beenden. INGE RAUH

Zur offiziellen Homepage von Michael Collins (engl.)

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