Kurios und lang:
"Hamlet"
Kenneth Branaghs vierstündige „Hamlet“-Fassung im Kino

Kritik aus der

800 Jahre nach Niederschrift der alten Hamlet-Sage, 400 Jahre nach Shakespeare und 100 Jahre nach Aufkommen des Films ist nun endlich klar: Der Prinz von Dänemark war mit Ophelia intim. Wie Filmstars aus dem 20. Jahrhundert wälzten sie sich im Liebeslager. Auf welche Weise Hamlets Vater starb, sehen wir jetzt ebenfalls genau: Nachdem ihm sein Bruder das Gift ins Ohr gegossen hatte, platzten blutige Beulen neben dem königlichen Gehörgang auf. Als Geist trug er dann strahlend blaue Kontaktlinsen und sprach mit unterirdisch dröhnender Stimme im Mehrkanal-Stereoton.

Für diese und andere Erkenntnisse müssen wir aber mit rund viereinhalb Stunden Kenneth Branagh ziemlich teuer bezahlen. Die meiste Zeit setzt sich der Regisseur als Titeldarsteller selbst in Szene und brüllt dabei, als müsse er sein sündhaft teueres Filmmaterial (70 Millimeter breit) bei den Mikrofonen wieder einsparen.

Eigentlich hatten wir uns Hamlet immer etwas jünger und zarter vorgestellt als ihn dieser Schauspieler – sportlich gestählt, dynamisch und weit über 30 Jahre – verkörpert. Selbst seine berühmten Monologe („Sein oder Nichtsein“) bersten schier vor Ausdruckswillen und Emotion. Jedenfalls erweckt er kaum den Eindruck eines Melancholikers, den des Gedankens Blässe angekränkelt hat.

Der temperamentvolle blonde Branagh dominiert also die ganze Shakespeare-Verfilmung. Das ist schade, denn er schart hervorragende Darsteller neben (oder besser: hinter) sich. Ja, Julie Christie ist alt geworden; aber als Prinzenmutter Gertrude dafür umso diffenzierter. Überdies verfügt sie über leise Töne, während die anderen fast alles aus sich herausschreien. Etwa Kate Winslet in der anderen weiblichen Hauptrolle. Die 21jährige setzt sich immer so intensiv mit ihren Figuren auseinander, daß ihre distanzlose Expressivität fast wie ein Mühlstein auf den Zuschauer niederkracht. Zuletzt war das in der Thomas-Hardy-Verfilmung „Herzen in Aufruhr“ der Fall. Im „Hamlet“ durfte sie jetzt eine Wahnsinnige spielen. Da gibt es kein Erbarmen. Gleichwohl hätte man gern noch mehr von der unglücklichen Nicht-mehr-Jungfrau gesehen. Nein, nicht im fürstlichen Lotterbett, sondern als Wasserleiche. Da kommt sie nur für einen flüchtigen Moment ins Bild –- und wäre doch so schön gewesen . . .

Stars in Nebenrollen

Noch verschwenderischer geht der Regisseur mit den Nebenrollen um: Auch hier die hochkarätigsten Mimen, oft nur eine Minute lang zu sehen. So spielt Jack Lemmon einen Wächter, Gérard Depardieu einen Spion, Charlton Heston einen Schauspieler, Sir John Gielgud gar den antiken Priamus, den sich der überlange Film wie viele andere Episoden durchaus hätte sparen können.

Aber der ehrgeizige Branagh wollte den kompletten „Hamlet“, wobei eine vollkommen ungekürzte Bühnenfassung wohl sogar sechs Stunden dauern kann. Ganze Arbeit hat der Regisseur aber zweifellos geleistet. Viel plastischer als auf den Brettern, welche die Welt bedeuten, tritt die universelle Geltung des Shakespeare-Dramas in dieser Kinofassung zutage: Liebe, Schuld und Rache, Macht und Vergänglichkeit – kurzum: die ultimativen Sinnfragen der Menscheit. Auf der anderen, tieferen Ebene entschleiert die Produktion den sexuelle Subtext, der ebenfalls zu Shakespeare gehört, wenngleich dies nicht zu bildungsbürgerlichen Vorstellungen paßt.

Die politischen Implikationen, die sonst meist hinter der zaudernden Zentralfigur und ihren inneren Konflikten verschwinden, macht der Regisseur ebenfalls viel transparenter, als es das beste Schauspiel könnte. Folgerichtig verlegte Branagh die Handlung ins 19. Jahrhundert, was zu dem kuriosen Nebeneffekt führt, daß Rosenkranz und Güldenstern mit der Dampfeisenbahn am Schloß vorfahren.

Die Kulissen bleiben leer

Überhaupt dieses Schloß! Blenheim-Palace in Oxfordshire gibt natürlich eine prächtige Kulisse ab. Wie eine Festung Elsinor bzw. Helsingör sieht es jedoch nicht aus, aber das schadet kaum. Umschön wirkt dagegen, daß der Regisseur trotz imposanter Statistenheere diese Kulissen nicht mit Leben füllen kann. Der riesige Prunksaal, den er sich im Studio bauen ließ, wirkt ähnlich leer, selbst wenn darin hunderte von Personen Branaghs Kostümrausch umsetzen.

Offenbar war diese totale Kälte aber gewollt. Immerhin ließ der Regisseur 200 Tonnen Kunstschnee ausstreuen, um Schloß und Park in eine Winterlandschaft zu verwandeln. Das erzeugt dann jene seltsame Situation, daß der Geist von Hamlets Vater auf Glühwürmchen hinweist, die es hier bestimmt nicht mehr gibt. Im Winter geht nämlich jedem Leuchtkäfer die Lampe aus. Hans-Peter Klatt

  Kritik aus den

Es ist kalt im Staate Dänemark. Beständig schneit es und über das kahle Land weht ein eisiger Wind. Unwirtlich, abgeschottet, wie ein Gefängnis wirkt das machtvolle Schloß. Außer ein, zwei Wachposten regt sich keine Menschenseele in der Umgebung. Auch im Innern herrscht eine eher unterkühlte Atmosphäre: in den Sälen macht sich Einsamkeit breit, Mißtrauen hängt in dem Labyrinth der Gänge und Zimmer fest, Schritte klingen verräterisch. Von prunkvollem, höfischem Leben keine Spur. Irgendwas ist hier faul.

Vier Stunden haben wir nach diesen ersten, wenig einladenden Eindrücken Zeit, unsere Ahnungen bestätigt zu finden: bei Königs zu Hause geht es zu, wie auf dem Schlachtfeld. Niemandem kann man trauen, Intrigen gehören zum guten Ton, Machtgelüste stellen sich ein wie Hunger, Liebe gibt's nur auf Berechnung: und während sich draußen die Welt weiterdreht, rottet sich der Hochadel hinter verschlossenen Flügeltüren selber aus, übt untereinander Rache, bis das blaue Blut spritzt. Solche Geschichten stehen nicht in Frau im Spiegel, sondern nur bei Shakespeare.

Und so ist Kenneth Branaghs monumentale „Hamlet“-Verfilmung zunächst einmal ein schonungsloser Schlüssellochblick in die Intimsphäre der Royals. Dadurch, daß der Regisseur die Handlung ins 19. Jahrhundert verlegt, den wackeren Recken die Strumpfhosen auszieht, Zivilisation und Bildung in die Gemächer einziehen läßt, wird die Handlung entmythologisiert, rücken die Figuren viel näher an uns heran und ihre Familiendramen kommen uns seltsam vertraut vor: nicht auszuschließen, daß es im Buckingham-Palast zu unserer Zeit ähnlich unschöne Mauschelei, Hinterhältigkeit und überhaupt Zoff gibt. Mord und Totschlag vielleicht noch nicht, aber dafür drücken sich Charles und Di ganz sicher nicht so vollkommen aus, wie Hamlet oder Ophelia, Gertrude oder Horatio.

Denn gesprochen wird der komplette Shakespeare-Text. Das kann im Kino schnell fehl am Platz und ermüdend wirken, wenn die Sprache nicht durch adäquate Bilder ergänzt wird. Branagh unterliegt nicht der Gefahr, die Dichtung hier nur zu bebildern, er visualisiert vielmehr die Gefühle und Ängste der Personen. Die Kamera spürt im ganzen Schloß den verborgenen Geheimnissen nach, stürzt durch Verstecke und über konspirative Zusammentreffen hinweg, überall sind Geheimtüren, Spiegel und Fallen. Eine bedrohliche, nur zum falschen Schein schillernde (Seelen-)Landschaft tut sich hinter jedem Winkel auf, die ihre Entsprechung in den Abgründen und im verzweifelten Ringen der Figuren findet.

Kein Branagh/Shakespeare-Film, ohne das Staraufgebot an Schauspielern. Wobei sich der Regisseur da sicherlich – und zu Recht – selber an der Spitze sieht. Sein Hamlet ist ständig präsent, steht auch noch in der stummsten Denkpause im Mittelpunkt, er hat die Fäden in der Hand, feiert sich in seiner ganzen (schönen) Tragik – und wirkt dadurch bisweilen doch auch etwas aufdringlich. Dadurch könnte er den anderen Darstellern die Show stehlen, aber die sind viel zu gut, als daß sie sich von ihm verdrängen ließen.

Allen voran Julie Christie als sanfte, mißtrauische, ahnungsvolle Gertrude, die wie unter Zwang dem Unheil begegnet; Kate Winslets Ophelia tappt unschuldig und schön in die Wahnsinnsfalle und hockt dann da, wie eine zerstörte Madonna; Derek Jacobi zeigt einen Claudius ohne die geringste Gefühlsregung, der ausweglos an seinem Lügenkonstrukt herumbastelt; Nicholas Farrell, der als Horatio von dem Irrsinn bei Hofe berichten wird, spielt den intellektuellen Großstadt-Dandy, der nur noch staunen kann über die Moral-Zertrümmerungen; einen verschlagen-witzigen Totengräber gibt Billy Crystal.

So sind auch noch die kleinsten Rollen mit großen Namen besetzt: Gerard Depardieu, John Gielgud, Charlton Heston, Richard Attanborough, Jack Lemmon . . .

Aber alle können nichts daran ändern, daß vier Stunden bei solch einem Hofe im Kino doch auch ihre langen Momente haben können. Es geht halt nur um Sex und Crime, da ändern auch die schönsten Shakespeare-Worte nichts dran. Und mit der Zeit springen einen die übergroßen Leinwandgesichter (gedreht wurde auch noch im 70-mm-Breitwandformat) regelrecht an: man kann sich nicht, wie im Theater, an der Szene festhalten, darf keine Details suchen, muß sich Branaghs Aufmerksamkeit unterordnen.

Da ist dann, wenn man einen „Hamlet“-Satz leicht abwandeln will, sehr viel Inhalt zu besichtigen, dafür weniger Kino-Kunst. Bernd Noack

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