Die Hardy-Verfilmung
"Herzen in Aufruhr"
Kritik aus der

"Das erste Mal" findet im Schweinestall statt. Aber Jude wird mit Arabella, der animalisch-erotischen Tochter des Schweinezüchters, nicht glücklich. Als das erste Borstenvieh geschlachtet werden soll, da zeigt sich schon, daß er fürs Landleben, für die Ehe und für diese Frau nicht geschaffen ist. Arabella emigriert nach Australien und Jude vertieft sich in seine Bücher.

"Wenn du wirklich etwas erreichen willst, dann mußt du dorthin gehen", hatte der Dorflehrer zu dem kleinen Jude gesagt und auf die ferne Stadt Christminster gezeigt. Jetzt bricht der junge Mann aus der Unterschicht dorthin auf. Aber die Universität wird ihn nicht aufnehmen, er arbeitet als Steinmetz. So trifft er seine Cousine Sue, und eine zweite stürmische aber letztlich unglückliche Liebe beginnt.

"Herzen in Aufruhr" von Michael Winterbottom ist eine schonungslose, zeitlos realistische Literaturverfilmung. Die Vorlage des melodramatischen Thomas Hardy, "Jude the Obscure", hat der junge englische Regisseur im positiven Sinne hinter sich gelassen. Der Film stiftet keine Nostalgie und rekonstruiert nicht das 19. Jahrhundert wie die Jane-Austen- Adaptionen "Verführung" oder "Sinn und Sinnlichkeit". Mit der letzteren - hervorragenden - Kinoversion kann man "Herzen in Aufruhr" aber durchaus vergleichen, was die Qualität von Inszenierung und Schauspielern betrifft.

Das liegt auch an der Hauptdarstellerin Kate Winslet als Sue. Sie stand im wenig sinnlichen "Sinn und Sinnlihckeit" noch etwas im Schatten von Emma Thompson, jetzt hat sie sich freigespielt, sie ist erotisch und bietet eine enorme Tiefe an Emotionen. Kate Winslet zeigt ohne feministische Attitüde eine emanzipierte junge Frau, die letztlich an den gesellschaftlichen Zwängen des späten 19. Jahrhunderts genauso zerbricht wie ihr scheinbar weniger eingeengter männlicher Partner.

In diesem Kampf gegen eine restriktive Umwelt haben sich zwei ideale Schauspieler gefunden. Das geistige Streben, den Drang nach Christminster (gemeint ist Oxford) verkörpert Christopher Eccleston zwar nicht so glänzend, dafür ist er der "obskure" Jude in Person. Aber auch die anderen Rollen sind trefflich besetzt - allen voran Rachel Griffiths, die in "Muriels Hochzeit" ein wenig bekannt wurde und nun die Arabella mit dunkler Leidenschaft ausfüllt.

Zusammen mit Kameramann Eduardo Serra sind dem Regisseur Aufnahmen von bisweilen archaischer Kraft gelungen - Landschaft, Innenräume und Personen, alles geht eine perfekte Synthese ein. Tief beeindruckt und aufgewühlt verläßt der Zuschauer das Kino. att

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Bald ist der Stoff für literarisch inspirierte Kostümfilme aus dem viktorianischen Zeitalter verbraucht. Die Romanvorlagen, so unerschöpflich sie sein mögen, befriedigen gegenwärtig ein Bedürfnis nach rückwärtsgewandten Aufbruchstimmungen. Je unüberschaubarer die aktuelle Lage, desto besser läßt sich Vergangenes reflektieren. Wen rührt nicht das Schicksal von Menschen, die außerhalb eherner gesellschaftlicher Normen jene Selbstverwirklichung suchen, die heute längst zum gängigen Psycho-Programm gehört.

Nun ist der Engländer Michael Winterbottom aber kein Regisseur, der die einfachen Regeln einer gefälligen Kino-Adaption beherzigen wollte. Mit "Butterfly Kiss" gab er ein provokantes Beispiel, was die Absolutheit menschlicher Beziehungen im Extremfall anrichten kann. Davon ist er bei "Jude the Obscure", dem düstersten Buch von Thomas Hardy, gar nicht so weit entfernt. Als der Autor die Geschichte veröffentlichte, gab es einen Skandal: Hier wurde der Freiheit der Liebe gegen die Institution der Ehe das Wort geredet. Hardys Helden scheitern an dieser Freiheit. Dies ist auch Winterbottoms Thema.

Der Waisenjunge Jude glaubt, daß er auch in einem festgefügten System sozialer Klassen seine Chance hat. Er will zum Studium in die Stadt, paukt Latein und Griechisch und verdient seinen Lebensunterhalt als Steinmetz. Aber es gibt weder ein Recht auf Bildung noch ein Recht auf persönliche Gefühle. Das lernt er, als er seine Cousine Sue trifft, eine Frau von unabhängigem Geist, die Zigaretten raucht und Diskussionen mag. Beide werden in einer ungewöhnlichen, tiefen seelischen Bindung kein Glück finden.

Diesen höchst individuellen Aspekt, nämlich losgelöst von den jeweiligen Lebenumständen den privaten Anspruch durchzusetzen, betont Winterbottom von Bild zu Bild stärker. Der anfangs zögerliche Jude nimmt sich Sue, die schon mit seinem ehemaligen Lehrer verheiratet ist, im letzten entscheidenden Moment. Es wird nicht viel gesprochen, die zwei sind sich längst einig und kämpfen anschließend einen aussichtslosen, deprimierenden Kampf gegen das, was Sitte ist. Ein unverheiratetes Paar mit drei Kindern bekommt keinen Job und keine Wohnung.

Der Film weicht dem Umkehrschluß solchen Verhaltens nicht aus. Bei Thomas Hardy kommt unweigerlich das Strafgericht, ein Kinder-Selbstmord beendet die Suche von Jude und Sue nach einem eigenen Platz in der Gesellschaft. Sie wird zur Frömmlerin, er bleibt allein und rastlos zurück. Winterbottoms Wechsel zwischen satten Farben und kalten Ansichten englischen Stadtlebens zum Ende des letzten Jahrhunderts entspricht der großen Stimmungsskala des Films bis hin zu einem melodramatischen Winterbild, das noch einmal die Unmöglichkeit der Nähe zeigt.

Trotz des modernen Zugriffs walzt Winterbottom die Historien-Details und die Einblicke ins inszenierte Sozialelend stark aus. Emotional wird er die Zuschauer dank seiner Hauptdarsteller aber mühelos erreichen. Kate Winslet ist in kürzester Zeit zum europäischen Star aufgestiegen, sie spielt die Sue entwaffnend aufrichtig und intelligent: wegweisend vielleicht für einen neuen Frauentyp im Kino. Mit Christopher Eccleston als Jude trägt sie den ganzen Film. Soviel Intensität vor der Kamera entkräftet jeden Einwand. Auch gegen den deutschen Schmalz-Titel. INGE RAUH

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