"Gefangen im Kaukasus" zeigt Greuel des Tschetschenien-Kriegs
Tödliche Spiele zur Marschmusik

Kritik aus der

Der Krieg scheint für den jungen und unerfahrenen russischen Rekruten Vanja (Sergej Bodrov Jr.) anfänglich eine reine Maskerade zu sein, ein Kinderspiel mit Kriegsbemalung und martialischer Marschmusik. Auch als das Spiel bereits todernst geworden ist, als er gemeinsam mit dem smarten und zynischen Veteranen Sascha (Oleg Menschikov) wie Vieh aneinandergekettet in tschetschenischer Gefangenschaft dahinvegetiert, hängt der Träumer noch seinen Phantasien nach: „Wir sagen, wir hätten fünf Mann gefangen“, schlägt er in einer verzweifelten Situation in völliger Umkehrung der Realität vor.

Aber in Sergej Bodrovs Film „Gefangen im Kaukasus“, der auf Leo Tolstojs Erzählung „Ein Gefangener im Kaukasus“ basiert, ist kein Platz für falsches Heldentum und Sieger, der russische Regisseur zeigt den russisch-tschetschenischen Bürgerkrieg grausam, grotesk und sinnlos. Und dafür braucht der Filmemacher keine Bilder von blutrünstigem Gemetzel; vielmehr offenbart sich die ganze Hoffnungslosigkeit in unspektakulären und an sich harmlosen Gesten: nämlich dann, wenn die beiden Gefangenen in ihren Kindheitserinnerungen schwelgen oder der selbstbewußte Sascha in Tränen ausbricht.

Sergej Bodrov verläßt sich in seinem Oscar-nominierten Film auf eine leise und unaufdringliche Bildersprache das Tempo paßt sich der Handlung an. Zunächst der Überfall der Tschetschenen auf die beiden Russen und ihre Gefangennahme danach, das endlose Warten auf den gegenseitigen Austausch mit einem tschetschenischen Rebellen. Die Ungewißheit ihrer Existenz schafft inmitten dieser kargen, staubigen Berglandschaft des Kaukasus die eigentlich beunruhigende Atmosphäre.

Sergej Bodrovs herausragender Antikriegsfilm ist ein engagierter Appell an die Menschlichkeit. Die politischen Hintergründe des Konfliktes klammert der Filmemacher aus; im Zentrum stehen bei ihm die Menschen und ihre persönlichen Probleme – unabhängig davon, auf welcher (auch immer falschen) Seite sie kämpfen. In diese Spirale von Gewalt und Gegengewalt setzt Bodrov ein Zeichen: Der tschetschenische Entführer (Djemal Sikharulidze) überwindet seine persönlichen Rachegefühle und lernt als Erster zu verzeihen. sc

  Kritik aus den

Der Kollaps des kommunistischen Systems und die darauffolgende Phase politischer und wirtschaftlicher Neuorientierung war natürlich auch für die russischen Filmemacher von einschneidender Bedeutung. Zensur und ideologische Bevormundung sind heute zwar kein Thema mehr, dafür fehlt an allen Ecken und Enden das Geld.

Es erstaunt, daß vereinzelt doch noch Streifen in Produktion gehen – geradezu märchenhaft mutet es an, wenn eine dieser Raritäten in unsere Kinos gelangt. Einem kleinen engagierten Verleih ist es zu verdanken, daß Sergej Bodrovs bisher nur auf einigen Festivals gezeigtes, für den „Oscar“ als bester ausländischer Film nominiertes Werk „Gefangen im Kaukasus“ bei uns zu sehen ist.

Die Geschichte von zwei russischen Soldaten, die während des Krieges in Tschetschenien von Rebellen gefangengenommen werden, überträgt eine Erzählung von Leo Tolstoi in die Gegenwart. Die jüngere (Sergej Bodrov jr.) der beiden Geiseln entspricht dem frustrierenden Normalfall in der desolaten russischen Armee: Ahnungslos und miserabel ausgebildet (und entsprechend schlecht motiviert) wird er ins Kampfgebiet verfrachtet.

Von ganz anderem Kaliber ist sein mit ihm auf den Austausch gegen einen Befreiungskämpfer wartender Kamerad (Oleg Menschikow). Aus ihm machten lange Jahre als Berufssoldat einen Zyniker, der selbst in prekärer Lage vornehmlich Worte des Hohns findet.

Auf ebenso sensible wie spannende Weise beschreibt Bodrov den Prozeß der Annäherung zwischen dem spöttischen Offizier und dem naiven Rekruten, deren Mentalität nicht unterschiedlicher sein könnte. Auch zwischen einigen Bewohnern des tschetschenischen Bergdorfes und den Gefangenen findet allmählich ein zaghafter Dialog statt, der es der jeweils anderen Partei ermöglicht, hinter dem Feindbild den Menschen wahrzunehmen.

Ruhig und unaufgeregt läßt der Regisseur die Bilder wirken, die sich bis zum Ende jeder verlogenen Wendung verweigern. Bodrov weiß, daß in Ausnahmesituationen die Eskalation der Gewalt die Regel ist. Und so stellt dieser beeindruckend inszenierte Film völlig unprätentiös auch die grundsätzliche Frage nach Wesen (und Grenzen) menschlicher Konfliktfähigkeit. Absolut sehenswert! (Casablanca Nürnberg) Michael Meier

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