Heilige und Scheinheilige
"Larry Flynt" -
Die nackte Wahrheit
Milos Formans Film über den amerikanischen Porno-Verleger

Kritik aus der

"Das Establishment hat mir meine Männlichkeit genommen, jetzt räche ich mich mit meinem Gehirn", krakelt Larry Flynt, der Herausgeber des Sexmagazins Hustler. Ein Attentat hat den Moralverderber Amerikas an den Rollstuhl gefesselt. Doch von diesem Handicap läßt er sich nicht geiseln.

"Larry Flynt - Die nackte Wahrheit" heißt Milos Formans filmische Chronik des Aufstiegs eines der bekanntesten Porno-Herausgebers der Welt. In einzigartiger Weise verkörpern Woody Harrelson als eskapistischer Larry und Courtney Love als seine Geliebte, Freundin und Ehefrau das Ideal einer freien und zugleich leidenschaftlichen Liebe. Im Zeichen immerwährender Lust vereinen sich nicht nur ihre Körper, sondern auch ihr Geist. Angefacht vom jugendlichen Drang nach Freiheit erfährt Flynt einen kometenhaften Aufstieg als "Schweinkramhändler". Flynt spreizt Frauenschenkel für die lüsternen Leseraugen, beleidigt Politiker und Priester und demonstriert der amerikanischen Justiz mit Flegeleien im Gerichtssaal seine Verachtung.


Forman ist mit der Besetzung ein echter Glückgriff gelungen. Gerade der zunehmende Verfall von Flynts Frau Althea hätte kaum überzeugender dargestellt werden können. Gezeichnet von AIDS steuert sie in den Freitot. Da bleibt Flynt nur noch sein getreuer Anwalt Isaacman (Edward Norton), mit dem er zum Schluß vor dem obersten Bundesgericht einen triumphalen Sieg der Gerechtigkeit erringt.

Milos Forman hat eine erstklassige Abrechnung mit Amerikas heuchlerischer Prüderie inszeniert, in der sich der echte Larry Flynt ein Stelldichein als moralverfechtender Richter gibt. rs

Flynts Liebes- und Seelengefährtin: Courtney Love als Althea.

  Kritik aus den

Schon als Kind wollte Larry Flynt einen "ehrlichen Dollar" verdienen und ärgerte sich über seinen Vater, der den selbstgebrannten Kartoffelschnaps wegsoff. Nachher ließ Larry Go-Go-Girls in billigen Provinzclubs tanzen und kam auf den treffenden Gedanken, daß deren Nacktfotos sicher eine ganze Anzahl prüder Amerikaner reizen würde. Aus dem windigen Barbesitzer wurde ein millionenschwerer Porno-Verleger, dessen Hustler-Magazin den vermeintlich moralisch besser gerüsteten Teil der Gesellschaft auf die Palme brachte. Der echte Flynt sei ein Kotzbrocken, sagen Zeitgenossen, und habe mit dem Filmhelden des Milos Forman wenig gemein.

Aber was muß das einen Regisseur kümmern, den bizarre Außenseiter interessieren, die um ihre bürgerlichen Rechte kämpfen. Auch ein Schwein, sagt Flynt einmal zu seinem verzweifelten Anwalt, kann die verfassungsmäßig garantierte Meinungsfreiheit einklagen. Er tat dies bis zum Überdruß und wider besseres Wissen seiner Berater - bis zum späten Erfolg vor dem obersten Gerichtshof. Bei Milos Forman wird ein zwingend guter Schluß daraus: Der schwer gezeichnete Flynt hört die Nachricht am Telefon und schaut dabei auf die sich wiederholenden Bilder einer Video-Wand. Seine Frau, die Ex-Stripperin Althea, lächelt ihn von allen Seiten an.

So eignet sich das Kino ein Stück amerikanischer Sitten- und Rechtsgeschichte auf süffisante Weise an. Dabei ist Forman noch nicht einmal spektakulär oder aufrührerisch, ordentlich chronologisch hakt er die Stationen des herrischen Hustler-Herausgebers ab, der weder besonders schlau noch besonders ehrgeizig ist. Er will einfach Geld machen und seinen Spaß haben und die Heuchler ein bißchen aufmischen. Die missionarischen Feldzüge überläßt er den anderen. Das wachsende Porno-Imperium gibt ihm dazu die Macht, er weiß es, und nützt es.

Den Film hält aber etwas ganz anderes zusammen. Forman ist ein Regisseur mit Gespür für die richtige Besetzung. Etwas besseres als die Rockmusikerin Courtney Love hätte ihm nicht passieren können. Mit unverstellter Direktheit spielt sie Larry Flynts Liebesgespielin und Seelengefährtin, hinreißend glaubwürdig und so traurig verkorkst, daß diese Drogen- und Sex-Biographie ihre eigene Dynamik bekommt. Woody Harrelson ist genau dieser Durchschnittspartner, der er sein soll, ohne Star-Nimbus, als Flynt anfangs ein platter Geck und später ein Provokateur von eigenen Gnaden, der sich in der Firma mit Gedröhn ankündigt: "Der Perverse kommt!"

Bis dahin zeigt Forman die sogenannten wahren Begebenheiten wie eine zweifelhafte Erfindung. Die Heiligen und Scheinheiligen des Landes, an der Spitze Jimmy Carters fromme Schwester Ruth, machen aus dem lauten und aufdringlichen Flynt einen Spießrutenläufer, der nach einem Attentat im Rollstuhl weiterstreitet und erst zusammenbricht, als seine Frau an Aids erkrankt und stirbt. Da hat er sich vor seinen Richtern schon in die amerikanische Flagge gewickelt, ist zur Anhörung in Militäruniform erschienen und gegen einen landesweit bekannten Prediger angetreten.

Die Kunst ist stärker als die Realität, das offenbaren die intensivsten Forman-Szenen gegen Ende einer langen, zerstörerischen, öffentlichen Affäre. Die Meinungsfreiheit hat zwar gesiegt, also doch wieder das gute Amerika. Zur gleichen Zeit aber will man die Werbeplakate zu "Larry Flynt" nicht erlauben. Im Bikini-Dreieck einer Schönen hängt der Held mit der US-Fahne wie der Gekreuzigte. Das Thema ist noch längst nicht ausgestanden, auch wenn die Akademie in Hollywood vielleicht mit einer Oscar-Verleihung der künstlerischen Satisfaktion genügt.

In den Extremlagen sollte sich die gesellschaftliche Toleranz beweisen, meint so ein Film unter anderem. Die Botschaft bringt Forman launig, aber keineswegs übertrieben satirisch unters Volk. Oliver Stone ist der Produzent, auch einer, der auf Polit-Enthüllungen aus ist und gern moralisch gefärbte Meinungsbilder anklebt. Dem entzog sich der gebürtige Tscheche Forman zum Glück, denn er hat, dem Kino zuliebe, eine tolle Liebesgeschichte inszeniert und intelligente Dialoge schreiben lassen. INGE RAUH

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