"Portrait of a Lady", der neue Film von Jane Campion
Zeit ohne Zärtlichkeit

Keine einzige Liebesszene und nur einen einzigen Kuß enthalte der Roman "Bildnis einer Dame", hieß es im Nachwort zur einer Ausgabe des Henry-James-Werkes, und dieser eine Kuß werde - "wohl kein Zufall" - ohne Zustimmung gegeben. Wie wenig zufällig dieser Umstand tatsächlich ist, wieviel sich, ganz im gegenteil, darin verrät von der körperlichen Befangenheit des 19.Jahrhunderts, von steifer Etikette und von Zeremoniellen, die jede Zärtlichkeit unterbinden, zeigt die neuseeländische Regisseurin Jane Campion in ihrer Verfilmung "Portrait of a Lady", indem sie gerade darin mehrmals über die Vorlage hinausweist: gleich zu Beginn etwa erzählen junge Frauen aus dem Off, was ein Kuß für sie bedeutet, was sie dabei empfinden und wie sie versuchen, ihr Gegenüber kurz vorher durch einen möglichst mysteriösen Blick heftig zu verwirren. Dann schauen sie in die Kamera, direkt und selbstbewußt.

Neugierig auf die Welt

Nach dieser Szene aus heutiger Zeit erst führt der Film ins Jahr 1871, zu jenem Moment, als die junge Amerikanerin Isabel Archer (Fotos: Nicole Kidman), die sich seit kurzem in Europa aufhält, den Heiratsantrag Lord Warburtons (Richard E.Grant) ausschlägt. Er bleibt nicht der einzige: auch Caspar Goodwood (Viggo Mortensen), ein Verehrer aus Amerika, der Isabel bis nach England nachgereist ist, wird von der jungen Frau mit einer Entschiedenheit zurückgewiesen, die sie gleich darauf allerdings, etwas unsicher über die Wiese davonstolpernd, selbst leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen scheint. Vielleicht, weil sie schon ahnt, mit wie wenig Verständnis ihre Umgebung auf ihr Ansinnen reagieren wird, sich mit 23 Jahren erste einmal "einen Eindruck von der Welt zu verschaffen und von dem Licht, das da ist" - ein als ziemlich impertinent empfundener Wunsch in einer Zeit, als das eigenen Heim für eine Frau Welt genug sein mußte und alles Leuchten vom Ehemann ausgehen sollte.

Weit eindeutiger als James legt Campion in Isabels Sehnsucht jene Schranken bloß, in die Frauen damals vor allem in der Sexualität verwiesen wurden. Daß der "Eindruck von der Welt", den Isabel gewinnen möchte, erotische Erfahrungen unbedingt miteinschließt, vermittelt der Film ganz offensichtlich: wenn Isabel jede noch so zaghafte Berührung durch einen Mann, den sie, durch die Konventionen der Zeit gebunden, nicht ermutigen darf, sobald sie wieder allein ist, mit der eigenen Hand aufgreift, fortführt und so zu verlängern sucht.

Nur vor diesem Hintergrund kann die Intrige der von Isabel zunächst bewunderten Madame Merle (Barbara Hershey) gelingen, die ihr eigenes lebensunglück an die jüngere weitergeben will und Isabel deshalb in eine alle jugendlichen Illusionen gründlich vernichtende Ehe mit ihrem eigenen Geliebten, dem kaltherzigen, alles seinem eigenen Willen unterwerfenden Gilbert Osmond treibt: anders als seine Vorgänger bezwingt Osmond Isabel beim Heiratsantrag zugleich mit einem Kuß.

Widerspenstige Locken

Aller Kostümpracht und der ganzen opulenten Ausstattung zum Trotz (durch den weltweiten Erfolg ihres Films "Das Piano", das als Meisterwerk bis heute nachklingt, stand der Regisseurin ein gigantisches Budget zur Verfügung), verliert der Film niemals das seelische Dilemma seiner Protagonistin aus dem Blick. Für besonders intensive Momente hebt Jane Campion Isabel mitunter heraus aus dem dekorativen Umfeld, das ebenso akkurat arrangiert ist wie das Innenleben Isabels in völligem Durcheinander, führt die Kamera dicht an das zarte Gesicht Nicole Kidmans, die von der Regisseurin hier zu einer beachtlichen Leistung angespornt worden ist; wenn aus ihrem Blick unter dem widerspenstigen, nur mühsam gebändigten Lockenhaar Angst spricht und gleich darauf blitzende Lebensenergie, dann wird Isabel Archer ganz zu einer jener Frauenfiguren, wie sie im Kino nur Jane Campion erfindet.

"Portrait of a Lady", Bilder einer Ernüchterung. Die unerwartete Sinnlichkeit, mit der sich Ada, die stumme Protagonistin aus dem Film "Das Piano", in der gleichen Epoche wie Isabel, aber fern den Zwängen einer engherzigen Zivilisation, befreien konnte, bleibt Isabel verwehrt. Anders jedoch als der Roman, in dem sich Isabel am Ende in das Unglück ihrer Ehe fügt, gönnt ihr der Film immerhin ein Zögern: an der Tür angelangt, die sie zu ihrem Mann zurückführen soll, bleibt sie, den Knauf schon in der Hand, stehen und dreht sich zu uns um; vielleicht läßt sich die Welt, das Licht, das da sein soll, doch noch entdecken. Tamara Dotterweich

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