Wunderkind und Nervenwrack
"Shine" - ein Film über den Pianisten David Helfgott
Kritik aus der

Dies ist also, wieder einmal, eine wahre Geschichte, und auch wenn der Film nicht aus Hollywood kommt, sondern aus Australien, sollte man sich immer ein bißchen hüten: weil im Kino auch die Wahrheit nur eine Fiktion ist - eine unter vielen. Jedes Bild ist eine Lüge, jede Inszenierung interpretiert: verkleinert hier, vergrößert dort, berichtigt und verfälscht. Im besten Fall ist sie glaubwürdig. Hätte Scott Hicks - so viel Skepsis sei erlaubt - die reinen Fakten rein faktisch präsentiert, währe "Shine" nie für sieben Oscars nominiert worden - und David Helfgott nur ein unbekannter Pianist mit einem psychischen Problem.

"Shine" macht den kranken Künstler zum Star, beschwört Leid und Liebe, unterhält, weil es nicht anders geht, mit der Komik aller Abweichung: das schüchterne Kind mit den abstehenden Ohren, der linkische Jüngling mit albernem Pilzkopf und einer Hornbrille und wie Woody Allen, schließlich der verwirrte Erwachsene, ein komischer Kauz, der Wohnungen in Chaos verwandelt, alle Menschen umarmt und ununterbrochen vor sich hin brabbelt wie ein Papagei (alle Fotos: Buena Vista). Einsam und monströs irrt Geoffrey Rush am Anfang als heruntergekommener Held durch den Regen. Eine Serviererin hat Erbarmen und läßt ihn ins Restaurant: ein armer Hund am Rande der Gesellschaft.

Die große Rückblende, die der Film nun eröffnet, beginnt mit der Kindheit und führt also mitten hinein in die Beschädigungen der Seele. Der Vater (Armin Mueller-Stahl) hat das Talent des kleinen David erkannt und unterrichtet ihn selbst am Klavier: Aus seinem Kind soll der erfolgreiche Musiker werden, der er nie geworden ist. Doch hinter der graumelierten Güte und sanften Art steckt ein rücksichtsloser Despot. der Sohn gehört zum Familienbesitz und muß gehorchen. Als man das Wunderkind in Amerika haben will, wirft der Vater die Einladung rigoros ins Feuer. als ein Stipendium aus England winkt, will er David bei sich behalten - und schlägt ihn brutal zusammen.

Umsonst. Die Einschüchterung durch den Vater - der im übrigen selbst ein Opfer ist, das, anders als der Rest der Familie, den Holocaust überlebt hat und nun in Australien mehr schlecht als recht ein neues Leben versucht - kann David nicht hindern, nach London zu gehen. Dort, am Royal College of Music, findet er als eifriger Student die Lehrer, die ihn fördern und fordern. Vielleicht zu arg sogar. Wild umkreist die Kamera den Flügel, an dem sich David in Rachmaninow hineinsteigert, während der unverwüstliche John Gielgud (Foto Mitte) als Musikprofessor ihn mit höchsten Ansprüchen antreibt.

So kommt, beim ersten großen Konzert bereits, der Zusammenbruch im Kopf, das Ende einer Karriere, die kaum erst begonnen hat. Erschöpft und wie tot liegt der Künstler nach vollbrachter Bravour neben seinem Instrument am Boden. Elektroschocks holen ihn in der nächsten Szene ins Leben zurück, aber niemehr wird er sein wie zuvor. Doch "Shine" fängt jetzt erst richtig an. Aus der Verlierergeschichte wird eine Siegergeschichte: Das Genie wird trotz Verrücktheit als Genie bestätigt, eine Frau erlöst den sperrigen Sonderling aus seiner Isolation. Freudentränen, Kinofinale, eine letzte frohe Botschaft: Das Leben geht immer weiter. Auch mittelmäßige Filme machen gelegentlich Mut. lupus

  Kritik aus den

"Eine lächerliche Tragödie, eine lächerliche Tragödie", brabbelt ein kauziger, dünner Mensch, der im Regen vor einem Lokal stehenbleibt und durchs Fenster ein Klavier erspäht. Später verblüfft dieser wunderliche Streuner die Gäste mit einer Virtuosität, die gleich das verkappte Genie erahnen läßt. David, der gebrochene Wunderknabe, wird durch diesen Auftritt wieder salonfähig in der gutbürgerlichen Welt, gewinnt die Liebe einer Astrologin und ungeheuere Aufmerksamkeit in den Konzertsälen. Das Leben eines psychisch kranken Pianisten, so scheint es, ist wieder im Lot.

Der Rummel um ihn, der echte wie der inszenierte, hält inzwischen eine ganze Unterhaltungsmaschinerie in Gang. Seit "Shine" erstmals in Deutschland bei den Hofer Filmtagen zu sehen war, verdichteten sich Fiktion und Realität um diesen australischen Sonderling derart, daß Scott Hicks` sympathischer Film eine andere Dimension gewinnt. Den Regisseur hatte die Biographie eines Mannes interessiert, dessen gebrochene Künstlernatur offenbar genau zu den Klischee-Vorstellungen paßt, die über solche Fälle in Umlauf sind. Ein Hochbegabter zwischen Wahn und Wirklichkeit, abgestürzt und wieder aufgefangen.

Das Kino garantiert die emotionale Zuwendung an den Helden in jedem Fall. Scott Hicks ging behutsam vor, löst seine Geschichte komödiantisch und versöhnlich auf mit einem Hayppy-End, das Hollywood nicht besser hätte erfinden können. Gleichzeitig schlägt aber das sogenannte wahre Leben der Kunst gern ein Schnippchen. Tatsächlich ist alles so passiert. Das macht den Umgang mit der Film-Story nicht einfacher, profitiert sie obendrein noch von einem fulminanten Schauspieler, der mit jeder Faser dieser David Helfgott sein kann.

Er hat eine ver-rückte Karriere hinter sich, deren unglückliches, abruptes Ende im Film absehbar ist. Der Vater, ein verbohrter polnischer Emigrant, setzt den ganzen Ehrgeiz des ewig Zukurzgekommenen in den begabten Sohn, drillt ihn und hämmert die Noten förmlich in dieses verschüchterte Kind, das die Ansprüche des alten Helfgott um jeden Preis erfüllen will. Eigene Interessen werden in diesem Elternhaus unterdrückt, es gilt nur die Meinung des Patriarchen, der mit Zuckerbrot und Peitsche eine künstlerische Entwicklung vorantreiben will.

Armin Mueller-Stahl muß in dieser Rolle nicht viel erklären, er entspricht einer groben Schwarzweiß-Zeichnung, die ebenso wie das Milieu zu den realen Begebenheiten passen mag. Eine gesichtslose Arme-Leute-Siedlung mit kleinbürgerlicher Nachbarschaft, darin abgeschottet die Helfgotts und dieser bebrillte Knabe, der im Lokalwettbewerb so wunderbar Piano spielt und dann doch nicht gewinnt. Später geht er gegen den Willen des Vaters nach London und bricht mitten in Rachmaninoffs drittem Klavierkonzert zusammen.

In diesen Passagen ist der Film überaus suggestiv und meidet den Kitsch, in souveränen Zeitsprüngen wechselt er in die Atmosphäre von Kliniken und Betreuungsritualen. David Helfgott wird zum geliebten Clown, bis ihn seine Sterndeuterin zum Traualtar führt. Er kuschelt und schmust und schmatzt und freut sich an der Liebe. Gillian Helfgott hat bereits ein Buch über ihren David verfaßt mit vielen Fotos vom Virtuosen, wie er ihr an der Brust oder über dem Klavier liegt.

In Boston wurde eine große Konzert-Tournee gestartet, die Rachmaninoff-Einspielung des "echten David Helfgott" steht weltweit zum CD-Verkauf, der Film-Soundtrack sowieso. "Shine" ist für mehrere Oscars nominiert, Hauptdarsteller Geoffrey Rush hat ihn verdient. Er spielt ein sorglos verwirrtes Kind im Erwachsenenalter, das noch einmal in die große Musik-Arena geschickt wird. Eine lächerliche Tragödie? Bestimmt. INGE RAUH

Zur offiziellen Homepage von SHINE (engl.)

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