Beben im alten Gemäuer
„Verführerischer Mond“: Geschlechterkonflikte und
Gesellschaftsstudien in Chen Kaiges neuem Film

Kritik aus der

Das Melodram (oder Herz des Kinos) lebt ganz von der Schönheit der Frauen – und am schönsten, so wollen es die Gesetze des Genres, ist eine Frau, wenn sie leidet. Das Gesicht von Gong Li scheint wie gemacht dafür, daß sich eine Träne nach der andern kunstvoll im Auge sammelt und, nachdem sie mit fast schon genießerischer Verzögerung dort gehalten wird, gleichsam erlösend über das kostbar geschminkte Antlitz abfließen darf. Von Film zu Film hat sich die chinesische Schauspielerin in eine Ikone der Sehnsucht verwandelt, deren außergewöhnliche Leuchtkraft sich aus den einzelnen Geschichten speist, aber sie längst schon überschreitet. Ist, wo strenge Zensur herrscht, die Wahrheit eines Landes in der Maske eines Stars zu finden?

Auch in „Verführerischer Mond“, dem neuen Film von Chen Kaige, muß sie soviel weinen, als gäbe es keine Gefühle außer unerfüllte, als gäbe es kein Glück außer das geträumte. Als junge Erbin Ruyi übernimmt sie das Regiment im Palast der reichen Familie Pang und verliebt sich ausgerechnet in ihren Schwager Zhongliang (Leslie Cheung), der im sündigen Shanghai als Gigolo und Gangster sein Geld verdient. Im Auftrag seines väterlichen Bosses beginnt er Affären mit gutsituierten Ehefrauen und erpreßt sie zugleich damit. Wirklich lieben kann er eh nicht. Als kleiner Junge wurde er von seiner älteren Schwester sexuell mißbraucht. Das rächt sich. Frauen, zu denen er wahre Zuneigung entwickeln kann, müssen erst recht dafür bezahlen: mit dem Leben.

Zwischen Kindheitserinnerungen und luxuriösem Lotterleben, komplizierten Familienbeziehungen und historischen Verweisen entfaltet Chen Kaige – wie schon in seinem internationalen Erfolg „Lebewohl meine Konkubine“ (1993) – eine opulente Liebestragödie, die vor allem als virtuoses Erzählkino besticht. Das Opium, das hier (wie im China der 20er Jahre üblich) so ausgiebig geraucht wird, scheint auch die Kamera berauscht zu haben: die schwindelerregend jede Bewegung aufgreift, den Schauspielern distanzlos ins Gesicht blickt und spielerisch bewußte Unschärfen und wechselndes Zeitmaß zuläßt. Völlig entgegengesetzt zum strengen Kompositionsstil eines Zhang Yimou – siehe dessen „Shanghai Serenade“ (1995) – öffnet sich Chen Kaige den Effekten und Experimenten. Diese Suche verwirrt, aber gibt seinem Werk Leben.

Anders ausgedrückt: die Annexion Hongkongs findet auch auf ästhetischer Ebene statt. Wir werden sehen, ob sich auch Gong Lis Ausdruck ändern wird. lupus

  Kritik aus den

Düstere Pracht in einem alten chinesischen Palast, endlose Gänge und Türfluchten, geschnitzte Gitterfenster, durch die man nur schemenhaft sieht. Diese Umgebung gebietet gemessene, fast ehrfürchtige Bewegungen. Doch die jungen Leute in dem Palast der steinreichen Familie Pang huschen und hasten ständig durch das alte Gemäuer, schlagen Türen oder fahren sogar Fahrrad in den Sälen. Sie entweihen damit das Gebäude, das für ein System steht.

Der chinesische Regisseur Chen Kaige hat, wie schon in seinem Erfolgsfilm „Lebewohl meine Konkubine“ einen Ausschnitt genommen, um damit die Veränderung am Ganzen darzustellen. In seinem neuen Werk „Verführerischer Mond“ ist es die tranditionsreiche Dynastie der Pang, an der der gesellschaftliche Umbruch Chinas in den 20er Jahren gezeigt wird. Die Moderne rennt der alten Zeit davon wie das Mädchen, das mit den greisen Männern Verstecken spielt.

Dieses Mädchen Ruyi (Gong Li) wird unerwartet zum Familienoberhaupt erkoren, nachdem ihr älterer Bruder – scheinbar durch seinen exzessiven Opiumkonsum – geistig umnachtet ist. Ruyi entläßt erstmal alle Konkubinen ihrer männlichen Verwandtschaft. Was den greisen Ahnen zu dem verzweifelten Ausruf hinreißt: „Die Familie Pang hat keine Männer mehr!“.

Das ist Chen Kaiges zweites Thema: Der Kampf zwischen den Geschlechtern. Liebe, Verführung und Verrat verstricken die Figuren in Situationen ohne Ausweg. Der entfernte Verwandte Zhongliang (Leslie Cheung) wird als Diener in den Palast geholt. Als der dekadente Schwager ihn zwingt, seine eigene Schwester zu liebkosen, flüchtet er und landet in Shanghai. Dort steigt er zum Lieblings-Handlanger eines Mafiabosses auf, der von der Erpressung reicher, verheirateter Damen lebt, die der attraktive Zhongliang verführt.

Ruyi verliebt sich in den westlich gekleideten, eitlen Jüngling, als Zhongliang wieder in den Palast zurückkehrt. Doch sie liebt eher seine Freiheit und Fortschrittlichkeit als den Menschen. Die (vergebliche) Flucht aus der Tradition, verletzte Liebe in vielen Variationen – all das verpackt Chen Kaige in seiner Gesellschaftsstudie. Wie immer hat er schöne Bilder dafür gefunden, doch sie helfen dem Zuschauer nicht darüber hinweg, daß der Film mit Themen überfrachtet ist. Kaige wollte sich auf die Psychologie der Figuren konzentrieren, sagt er selbst. Doch der gesellschaftliche Umbruch in China interessiert ihn mindestens ebenso. Die Synthese gelingt nur selten. erl

Informationen zu Anfangszeiten in den Kinos

zurück zur Titelseite

© NORDBAYERN INFONET