Richtige Männer mit Tatendrang
Detonationswut in Hollywood:
John Woos Blutoper „Im Körper des Feindes“ mit John Travolta und Nicolas Cage

Wenn es denn so leicht ginge mit der Identität: Einfach das alte Gesicht abgenommen, die Fettpölsterchen abgesaugt, ein paar Haarimplantate auf die Brust gepflanzt, dann flugs das neue Gesicht aufgesetzt und eben noch schnell die Operationsnarben weggelasert – schwupps, schon ist das andere Ich fertig. Eine abgedrehte Vorstellung, aber genau das ist die Ausgangsidee des neuen Films von Action-Regisseur John Woo, so haarsträubend phantastisch, als entstamme sie einem Gruselfilm der dreißiger Jahre.

Im Mittelpunkt von „Face/Off – Im Körper des Feindes“ steht John Travolta als FBI-Spezialagent Sean Archer, der sich das Gesicht des im Koma liegenden Terroristen Castor Troy (Nicolas Cage) angeeignet hat, um von dessen im Gefängnis sitzenden Bruder Pollux das Versteck einer Zeitbombe zu erfahren. Zu dumm nur, daß der für klinisch tot gehaltene Castor ganz plötzliche doch wieder erwacht und sich seinerseits das in einem Einmachglas herumschwimmende Gesicht Archers aufklatschen läßt. Der echte Archer hat nun größte Schwierigkeiten, mit seiner falschen Identität wieder aus dem Hochsicherheitsgefängnis zu gelangen, während Terrorist Troy in der Familie des „Cops“ einigen Schattenseiten der Bürgerlichkeit auf die Spur kommt . .

Ein verzweifeltes Katz- und
Maus-Spiel also, mit durchaus reizvollen Seiten: Wir sehen John Travolta als Nicolas Cage als John Travolta und umgekehrt, und allein das macht schon Spaß. Sonst allerdings bleibt mancher Wunsch offen: Über weite Strecken ist „Face/Off“ leider doch nur ein stereotypes Action-Movie. Warum, beispielsweise, muß es in diesem Film eigentlich immer gleich riesige Feuerbälle geben, wenn wieder mal ein kleines Fahrzeug irgendwo dagegenkracht? Und warum muß „Action“ immer gleichbedeutend sein mit Massengemetzel und Abschlachtereien, nach dem Motto „Der gute Zweck wird die Mittel schon irgendwie heiligen?“

Vor einigen Jahren wurde Regisseur John Woo als Star des Hongkong-Kinos gefeiert, doch nach einigen Jahren und ein paar Filmen in Hollywood hat sich der besondere Stil der früheren Filme offensichtlich weitgehend verflüchtigt. Sicher, auch „Face/Off“ hat noch ein paar typische Woo-Elemente: Wie zuletzt in „Broken Arrow“ steht ein ungleiches, sich gegenseitig spiegelndes Männerpaar im Mittelpunkt, und einige der Kampfszenen bemühnen sich mit Zeitlupeneinstellungen und drastischer Symbolik um Überhöhung. Insgesamt aber: enttäuschend.

(CINECITTA, ADMIRAL, ATLANTIK; Fürth: CITY)

Marc Plorin

 

John Woo pflegt richtige Männerfreundschaften. „Das ist ein Teil meiner chinesischen Kultur, und die ist sehr männlich orientiert“, erzählt er in Interviews. John Woo, der Meister des Hongkong-Films, wird gelobt für seine cineastischen Blutopern. Er hat sich die Brutalität bei asiatischen Comics abgeschaut und sie mittlerweile technisch so abstrahiert, daß sein Publikum bei den schlimmsten Ballereien entspannt lacht.

Damit wurde der Regisseur in den USA salonfähig und erwarb zwei Spitzenstars für eine abgedrehte Killerorgie, die alles in den Schatten stellt, was das Genre zu bieten hat. John Travolta und Nicolas Cage leihen ihre Gesichter für einen Idenditätenwechsel hirnrissigster Art, doch darüber nachzudenken, verbietet John Woos hochtourige Action-Maschinerie. Das gewaltige Ausmaß seines Zerstörungspotentials entspricht dem Kalten Krieg aus dem Trickstudio, als müßte eine unsichtbare Weltmacht vorsorglich und ein für alle Mal ausgeschaltet werden.

Dabei sind die Motive simpel wie eh und je. Der Zusammenprall von Gut und Böse in einer Person wird jeder Therapeuten-Weisheit gerecht – nur daß man nicht alle Tage so propere Promi-Köpfe dafür vorweisen kann. Aus dem netten Antlitz des John Travolta wird die böse Fratze des Nicolas Cage, der den psychopathischen Mörderbuben aufs abgefeimteste zu geben hat. Da steckt nun jeder im Körper des Feindes und mäht mit Schnellfeuerwaffen ganze Areale von Los Angeles nieder. Dieser Tatendrang ist dem Guten wie dem Bösen zu eigen, mit dem kleinen Unterschied, daß der Gute aus lauterem Anlaß handelt.

Da der Adrenalinspiegel von John Woos Männerfreunden vermutlich erst steigt, wenn die Killerkommandos massenweise Menschen und Material in die Luft jagen, hat der Filmemacher sein Spezialistentum voll ausgelotet. Nach zehn Minuten verwandelt sich der Flughafen von L. A. in ein Inferno, weil dort der FBI-Agent Sean Archer auf den Terroristen Castor Troy lauert. An dem prasseln die Kugeln nur so herunter, wie ein Untoter fliegt er durch Zeit und Raum und brennende Wrackteile.

Bei James Bond gab es immer schon diese unwahrscheinlichen Stunts, wo einer in Zeitlupe sämtliche Höhen und Tiefen überwindet. Jetzt gehen die Helden nach einem von oben verordneten Persönlichkeitstausch mit schwersten Klumpen von Knastschuhen durch dick und dünn, lassen haufenweise Leichen hinter sich und – ob es einer glaubt oder nicht – sind angehalten, sich auch innerlich zu ändern. In wenigen Szenen wird der Hongkong-Matsch ein bißchen komisch breitgetreten, wenn das Horror-Paket Castor in Gestalt von Ex-Tänzer Travolta ins bürgerliche Leben einbricht.

Dann nämlich wittert die Gattin (Joan Allen bestimmt den Nebenschauplatz) Morgenluft, weil der Feind im Bett ganz anders rangeht. Wir wußten schon immer, daß die dunklen Seiten des Menschen entschieden aufregender sind. Da nun John Woo seiner Detonationswut in Hollywood nachgab, war klar, daß das politisch korrekte Ende umwerfend ist. Mami, Papi, sehr verschrammt, aber von allen bösen Geistern verlassen. Und dazu zwei Gören als happy family. Übler Müll.

(Cinecittà, Admiral und Atlantik Nürnberg, City Fürth, Glocken-Lichtspiele Erlangen)

INGE RAUH

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