Angriff aufs Herz
Die oscargekrönte tschechisch Beziehungskomödie "Kolya"

Kritik aus den

Vater wider Willen: Zdenek Sverák mit dem kleinen Titelhelden Kolya (Andrej Chalimon) in Jan Sveráks Film. Foto: Buena Vista

Es ist ein Zeichen der Zeit, daß ein politisch gefärbtes Rührstück wie „Kolya“ mit einem Oscar ausgezeichnet wird. Aus amerikanischer Sicht zeigen sich hier die Tschechen mit allen ihnen zugeschriebenen Tugenden. Verschmitztheit und Bürgerstolz, Subversion im Kleinen und Sinn für skurrilen Humor. Die bekanntesten Filmemacher nutzten diese Mentalität und hatten – Milos Forman an der Spitze – internationalen Erfolg.

Als der Kommunismus keine Breitseiten mehr bot und die Marktwirtschaft die Regeln auch in der Filmfinanzierung bestimmte, wurde es stiller um die ehemals rührigen Kinokünstler aus Prag. Man zehrt vom alten Renommee und pflegt die Emigranten. Da trifft es sich gut, wenn ein Familienduo das Heft in die Hand nimmt und rein gefühlsmäßig, von Mensch zu Mensch sozusagen, ein bißchen an der Vergangenheit kratzt, ohne tiefere Risse zu hinterlassen.

Zdenek Sverak ist Dramatiker, Romancier, Schauspieler und Drehbuchautor. Er verfaßte die Skripts für Jiri Menzel und wurde auch durch seine Radiosendungen im Land populär. Nun produzierte er für den regieführenden Sohn Jan die geschickt aufgebaute Beziehungskomödie „Kolya“, in der er auch als Hauptdarsteller versöhnungsstiftend wirkt und zusammen mit dem eigentlichen Star zielsicher ins Zuschauerherz trifft. Dem fünfjährigen Russen Andrej Chalimon entzieht sich keiner. Im Flirt mit der Kamera trifft dieses Kind jede Nuance und wischt Einwände weg.

Die Sveraks haben ihren Kolya in einem Moskauer Kindergarten entdeckt, und er rettet ihren Film auch dort, wo er seicht und kompromißlerisch ist. Zdenek spielt einen vom Regime entlassenen Orchestermusiker, der sein Cello nur noch auf Beerdigungen auspackt und nebenher die Grabinschriften aufpoliert. Als eingefleischter Junggeselle in reifen Jahren schätzt er verheiratete Bettgenossinnen und willigt in die Scheinheirat mit einer Russin nur ein, damit er endlich einen neuen Trabant kaufen kann.

Vom real existierenden Sozialismus erzählt der Regisseur nur sehr dezent und sehr nebenher, die Politik bestimmt wohl die Lebensbedingungen in der damaligen Tschechoslowakei, aber das Volk hat sich eingerichtet. Nun taucht also diese Russin auf, verschwindet weiter gen Westen und hinterläßt den fremden Knirps. Der Kinogänger weiß, wie solche Geschichten ausgehen. Auch ein hartleibiger Solist wird weich und holt die Gespielinnen ans Telefon, damit sie dem Knaben ein russisches Märchen vorlesen.

Ziemlich niedlich, das alles. An passender Stelle wird es nur einmal schön Schwejkisch, als Frantisek Louka, der unfreiwillige Alleinerzieher, zum Verhör muß. Da kapituliert die Staatsmacht beinahe vor soviel Begriffsstutzigkeit und den Blicken eines neugierigen Buben, der spürt, daß hier etwas im Busch ist. Wenn der Kleine dauernd nur Särge malt, weiß auch das psychologisch ungeschulte Publikum, wo er sich mit Louka vorwiegend herumtreibt.

Die Veränderungen im Land dienen dem Film als Kulisse. Das private Schicksal vollendet sich dadurch nur ein bißchen rascher und konsequenter, wenigstens erspart Sverak jr. ein tränenreiches Finale mit Abschied und Herzweh. Bemerkenswert, wie sich ein tschechisches Künstlerteam durchgehend heiter der schwierigsten politischen Epochen erinnert. Als sei die totalitäre Herrschaft schon hundert Jahre vorbei. So etwas beruhigt Hollywood, auf daß es guten Gewissens seine höchsten Trophäen vergeben kann. INGE RAUH

  Interview der

Gespräch mit dem tschechischen Regisseur Jan Sverák über seinen Film „Kolya“
Die Geschichte vom Vater wider Willen

Mit dem tschechischen Kino verband man hierzulande meist nur zwei Namen – Menzel und Forman. Doch das könnte sich ab jetzt ändern. Mit seinem tragikomischen Film „Kolya“, der heute auch in Nürnberg anläuft, hat Jan Sverák die Oscar-Jury überzeugt und Kritiker weltweit von seinem Talent überzeugt. NZ-Mitarbeiterin Sabine Spindler sprach mit dem 32jährigen Regisseur.

NZ: Ihr Film wird hier vor allem als Geschichte über einen Vater wider Willen vermarktet. Ist das auch Ihre Sicht?

JAN SVERAK: Für mich ist es die Geschichte eines 60jährigen Kindes, das sein ganzes Leben lang Verantwortung zurückgewiesen hat. Erst durch den Jungen wird er erwachsen.

Auch im politischen Sinn? Es passiert ja alles während der „Samtenen Revolution“.

Gewiß, das ist auch ein Synonym dafür, daß mit der Freiheit auch die Verantwortung kommt. Aber das wollten wir nie vordergründig erzählen. Denn wir wollten eine Geschichte über Menschen und ihre Gefühle in dieser großen historischen Zeit machen. Aber selbst wenn wir einen Film über ein Insekt in dieser Zeit gedreht hätten, Politik wäre auch dann unvermeidbar.

Sie haben zum zweiten Mal ein Drehbuch Ihres Vaters Zdenek Sverák verfilmt. Sucht ein Mann wie Sie nicht eher nach jüngeren Autoren?

Ich lese auch Drehbücher, die nicht von meinem Vater stammen. Und ich habe ja auch schon andere Filme gemacht. Aber ich schätze sehr, mit wieviel Menschlichkeit er die tschechische Gesellschaft beobachtet, was er für Charaktere entwirft. Es gibt eine Seelenverwandtschaft zwischen uns und keinen Generationskonflikt. Es hat sogar Vorteile, mit seinem Vater zu arbeiten: Ich weiß genau, wann er sauer ist oder müde. Ich kenne ihn.

Ihr Film lebt nicht von schwergewichtigen Dialogen, sondern von der Wahrnehmung kleiner, alltäglicher Nebensächlichkeiten. Worin liegt der Reiz dieser Beobachtungen?

Diese Beobachtungen sind meine Art der Wahrheitsfindung. Sie zeigen uns, daß das Leben ein Cocktail ist, denn das Leben besteht aus großen und kleinen Dingen, traurigen und lustigen Momenten.

Durch seinen typisch tschechischen Humor wird „Kolya“ mit den Filmen Menzels und Formans verglichen. Sehen Sie sich in dessen Tradition?

Ja und nein. Ich liebe deren Filme und ihren Humor, der auch irgendwie der meine ist. Andererseits darf man nicht verheimlichen, daß Menzel und ich den gleichen Drehbuchautoren haben: meinen Vater. Doch ich glaube, daß meine Filme total anders gemacht sind als die der früheren Generation. Als ich den technischen Teil des Drehbuchs erstellt hatte, habe ich 814 Einstellungen gezählt. Menzels Drehbuch „Dörfchen, mein Dörfchen“ hat nur 245. Da habe ich kapiert, daß man entweder über die Schauspieler erzählt oder über die Dynamik der Schnitte. Das ist wohl der große Unterschied.

Was wird nach „Kolya“ kommen?

Papa schreibt schon wieder ganz eifrig. Er ist aber erst auf Seite 33.

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