Auf dem Highway zur Hölle
David Lynchs verstörendes Rätsel-Spiel
"Lost Highway"

Kritik aus der

Auf einer Party steht der Saxophonspieler Fred Madison (Bill Pullman, alle Fotos: October) plötzlich einem geheimnisvollen Mann mit weiß geschminktem Gesicht und schwarzem Anzug gegenüber. „Wir sind uns schon einmal begegnet. Ich war in Ihrem Haus“, behauptet der Fremde (Robert Blake) und reckt Fred ein Funktelefon entgegen. „Ich bin jetzt gerade dort. Rufen Sie mich an! Wählen Sie Ihre eigene Nummer!“ Madison gehorcht bestürzt - und hört am anderen Ende der Leitung die triumphierende Stimme seines Gegenübers: „Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich hier bin.“

Solche Momente des Unheimlichen, solche Einbrüche der irritierenden Irrationalität gehören zu den großen Stärken des amerikanischen Regisseurs David Lynch, der es dem Publikum in keinem seiner Filme einfach macht. Das Erzählen linearer Geschichten, bei denen jede Wirkung auch eine Ursache hat, ist seine Sache nicht. Er plädiert für eine „abstraktere“ Art von Filmen, die „eher wie Träume“ erscheinen sollen. Fast fünf Jahre sind seit „Twin Peaks: Fire Walk With Me“, Lynchs letztem, formal radikalem, künstlerisch wie kommerziell enttäuschendem Kinostreifen, vergangen. Jetzt meldet er sich nach einigen Fernsehproduktionen mit „Lost Highway“, einer eigenwilligen Mischung aus Psycho-Thriller und Film Noir, zurück.

In einem kompliziert strukturierten Labyrinth aus Doppelungen und Spiegelungen dreht sich alles um zwei Männer, deren Schicksale auf rätselhafte Weise verbunden sind: Fred Madison wird wegen Mordes an seiner Frau Renee (Foto: Patricia Arquette) zum Tode verurteilt. Wundersamerweise sitzt jedoch eines Morgens der junge Mechaniker Pete Dayton (Balthazar Getty) in Madisons Zelle und verliebt sich bald darauf in die schöne Gangsterbraut Alice (noch einmal Patricia Arquette), die der Toten verdächtig ähnlich sieht. Was ist Wahn, was Wirklichkeit? Sind Fred und Pete oder Renee und Alice Facetten einer (gespaltenen) Persönlichkeit? Spielt der „Mystery Man“ nun die Rolle des Todes oder des Teufels? Lynch offeriert zwar massenweise Interpretationsangebote, doch da sich diese vielfach widersprechen, bleibt es jedem Zuschauer selbst überlassen, die Geheimnisse des „Lost Highway“ zu entschlüsseln. Es mag sein, daß dieses Rätsel-Spiel mehr verspricht, als es letztlich halten kann.

Formal jedoch gelingt es dem Kult-Regisseur, alle an ihn gestellten Erwartungen zu befriedigen: Vor allem für die Entfremdung der Madisons in ihrem bunkerartigen Haus und das zunehmende Eindringen des Schreckens in ihre Welt hat Lynch bedrohliche, beunruhigende Bilder gefunden, die er in ihrer atmosphärischen Dichte später nicht mehr übertreffen kann. Er schafft das Kunststück, ein Werk vorzulegen, das gleichzeitig in sich geschlossen und doch völlig offen ist. Am Ende kehrt der Film wieder an den Anfang zurück, schließt eine Zeitschleife: Der letzte Satz des Films ist der erste. Die Fahrt entlang des „Lost Highway“ führt in die Dunkelheit, vielleicht in die Hölle. afra

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Auch David Lynchs Fans sind gut beraten, den Interpretationen von "Lost Highway" zu mißtrauen. Es wird über den Kubismus im Kino fabuliert, über die musikalischen Visionen des Maestros, der mit donnerndem Soundtrack die Psyche der Menschen aufwühlt und die Hölle in uns beschwört. Viel realer ist, daß er die klassischen Mythen in einer Umgebung belebt, ohne die Hollywood die Zeichen seiner Mythen niemals hätte setzen können. Der Mulholland Drive in Los Angeles von oben zum Beispiel. Das Death Valley bei Nacht. Das Caddy-Cabrio von 1957 vor einer Autowerkstatt.

Aus einem solchen Modell entsteigt die Blondine Alice exakt so, wie sich jeder Mann bis heute die Sexbombe träumt. Bei ihrem Anblick kann der Automechaniker Pete nur einen kurzen Moment zögern, dann ist es passiert, und das Verderben nimmt seinen Lauf. Aus Übung ist bekannt, daß Sirenen dieser Machart vieles zustande bringen und dabei auch noch perfide Geheimnisse bewahren. Porno, Mafia, Raffgier, Totschlag usw. Alles trifft so ein, Lynch hin oder her.

Dieser Filmregisseur mit Kultstatus von "Blue Velvet" über "Twin Peaks" bis "Wild at Heart" beschert seinen Anhängern keine Überraschungen, aber ein ehrgeizig verpacktes Rätsel, das vorgibt, dem Sehen andere Dimensionen zu eröffnen und trotzdem nur bekannte Stereotypen neu aufreiht. Dabei ist die erste Seelenkrimi-Stunde optisch aufreizend und könnte sehr wohl etwas aussagen über den Zustand der Zeit.

David Lynch beobachtet kalt den Umgang eines Paares miteinander, Fred und seine Frau Renee in einem dieser Designer-Häuser mit gestylten Vorgärten und der bleiernen Stille drumherum. Drinnen der düstere Chic einer modernistischen Fluchtburg, die beiden in schwarzen Hausmänteln oder nackt in schwarzen Satinbetten, karg die Kommunikation. Erst als eine anonyme Kassette vor der Tür liegt, wird bemerkbar, daß Renee grundsätzlich vor Videos etwas zurückschreckt, es wurde aber weiter nichts aufgenommen als die eigene Hausfassade.

Die Beiläufigkeiten ergeben im herkömmlichen Thriller das eigentliche Spielmaterial zu Aufbau und Lösung des Falls. Lynchs suggestiver Einstieg legt aber keine Fährte, sondern wird benutzt, um ein banales Verwandlungsspektakel aufzuführen. Renees Ehemann Fred soll, so will es das Drehbuch des Regisseurs, ein schizophrener Killer sein. Als Jazzmusiker geht er arbeiten in einem Club, in dem ihn schräge Alpträume verfolgen, während Renee dabeim brav im Bett liegt.

Später wird noch einmal ein Video eingeblendet, auf dem der gleiche Fred gerade bestialisch seine Frau ermordet hat. Das unterstellte Eifersuchtsmotiv muß man in der herben Schnittfolge schwer suchen bis zum Punkt, da statt des zum Tode verurteilten Fred eben jener Pete (siehe oben) in der Zelle sitzt. Auch die Frau teilt sich in zwei, aus Renee wird Alice (Patricia Arquette als doppelt mysteriöse Schlange), die in allen Posen der Verführung das männliche Verstandespotential schachmatt setzt. Doch da hat sich der ausschweifige Lynch schon angestrengt verzettelt und durch seinen "Mystery Man" den Teufel in Hollywood lächerlich gemacht.

Frauen, so lehrt die verdrehte Geschichte mit ihrer Bemühtheit, die Avantgarde fürs Jahr 2000 zu sein, sind die wahren Teufel. Du kriegst sie nicht und stirbst statt dessen. Lynch sagte, am meisten bewundere er Hitchcocks Krimi "Fenster zum Hof" wegen seiner Spannung auf engstem Raum. Das ist, er hat natürlich recht, unübertrefflich. INGE RAUH

Zur offiziellen Homepage von Lost Highway (engl.) und hier zu einer Site für Lynch-Fans und solche, die es werden wollen.

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