Geschmackvolle Tabuverletzungen
Brian Gilberts üppiger Film über den genialen irischen Dichter und homosexuellen Dandy Oscar Wilde

„Oscar Wilde“ erzählt genaugenommen gleich zwei Tragödien. Die erste kannte man schon. Es ist die alte, ewigneue Geschichte vom Außenseiter und der Gesellschaft, von verbotener Liebe und einer Strafe, die zum Ruin eines Lebens führt. London 1892. Die Zeit scheint günstig für Oscar Wilde(Stephen Fry). Der Dandy mit der grünen Nelke wird als Dramatiker gefeiert. Zu Hause sitzt die glückliche Ehefrau und hütet die kleinen Kinder. In den Kreisen der High Society wird der irische Schriftsteller für seinen hellen Geist (und die spitze Zunge) hoch gehandelt. Was will er mehr? Doch da lernt Wilde den jungen Lord Alfred Douglas(Jude Law), genannt Bosie, kennen – und verliebt sich in den blonden Schönling. Das ist sein Untergang. Bosies Vater, der vulgäre Marquess of Queensberry, will die Beziehung verhindern und beleidigt Wilde. Dieser geht vor Gericht und wird, wegen Homosexualität, selbst verurteilt. Zwei Jahre Gefängnis mit Zwangsarbeit zerbrechen den Ästheten für immer.

Darüber gäbe es genug zu trauern. Leider erzählt der Film nicht nur die Tragödie eines gar nicht lächerlichen Mannes, sondern auch seine eigene: er scheitert, konventionell wie er ist, am unkonventionellen Thema. Die handwerkliche Sorgfalt und solide Regie Brian Gilberts, die guten Schauspieler und historisch fein abgestimmten Farben (all das also, was man sich im deutschen Kino nur wünschen könnte) haben den Film nur gefesselt, statt ihn zu befreien. Wie im Bilderbuch wird brav eine Biographie aufgeblättert. Wie Sprechblasen hängen die Zitate und unzähligen Bonmots bleiern über den Bildern. Gibt es etwas Traurigeres als einen Witz nach dem andern? Ständig muß bewiesen werden, wie geistreich Wilde war und wie gefühlvoll, was für ein liebevoller Familienvater und was für ein zärtlicher Freund, verzeihend und großherzig: das ermüdet. Richard Ellmanns spannendes Wilde-Buch, auf dem der Film beruht, kann dagegen nicht oft genug empfohlen werden.

(ATRIUM)

lupus

 

Geschmackvoll bis in den letzten Bordell-Winkel; dezent, selbst wenn die Männer die Beinkleider fallen lassen; geistreich wie ein Zitatenlexikon; schön und verlogen, wie die gute alte Zeit: Brian Gilbert hat einen Film über Oscar Wilde gedreht, den man bedenkenlos auch in der Volkshochschule zeigen kann. Denn es ging zwar im Leben des irischen Dichters und Dandys um Tabuverletzungen und die Mißachtung bürgerlicher Moralvorstellungen, aber Gilbert beschränkt sich darauf, den Anstand zu wahren und bevorzugt den Einsatz des Weichzeichners auch beim Blick hinter die Kulissen der scheinheiligen, verlogenen viktorianischen Gesellschaft.

Oscar Wilde (1854–1900), hätte er nicht gelebt, ein Drehbuchautor hätte ihn erfunden. Nicht umsonst gibt es bereits drei Filme über den Schöpfer von „Dorian Gray“ und „Salome“, warum also muß Brian Gilbert nun noch einen draufsetzen? Zumal keine neuen Details oder Perspektiven auftauchen, da das Skript sich auf das biographische Standardwerk von Richard Ellmann stützt. Es steht kein runder Jahrestag an und Homosexualität ist mittlerweile auch nicht mehr ein Thema, das die Menschen scharenweise ins Kino locken könnte. Warum also dieser „Oscar Wilde“? Keine Ahnung nach knapp zwei Stunden.

Allerhöchstens noch, weil Gilbert in Stephen Fry einen Darsteller gefunden hat, der nun wirklich in Aussehen und Auftreten dem Original erstaunlich gleicht. Da hätten wir dann erstmals den Film zum Gesicht. Fry kopiert mit Wallehaar, weichen Bewegungen und dieser kostbaren, längst ausgestorbenen Mischung aus Sarkasmus, Aristrokatie, Dekadenz und sprühendem Geist sein Vorbild perfekt. Wenn er den Mund aufmacht, dann regnet es treffsichere und espritreiche Bonmots und Aperçus, die sorgfältig aus Wildes Schriften gefiltert wurden.

Drumherum stimmt alles: das Dekor, die Kostüme und die Geschichte. Nur die Beweggründe, die Seelenschmerzen, die Verzweiflung dieses an der Konvention zerbrochenen Lebens bleiben im Dunkeln. Während Wilde konsequent mit den Lastern der Menschheit experimentierte, geht Gilbert auf Nummer Sicher. Brav erzählt er von der aufrichtigen Zuneigung des Dichters zu der klugen, verletzlichen, treuen Constance (Jennifer Ehle), von der schleichenden Zerstörung der Idylle, als die kleinen Jungs auftauchen, zu denen sich Wilde urplötzlich hingezogen fühlt, weil er dem antiken Ideal der platonischen Liebe nachhängt. Der Teufel steckt in der unschuldigen, blendenden Jugend: Jude Law spielt den schicksalhaften Liebhaber Bosie als launigen, berechnenden eiskalten Engel, über dessen Schönheit und Anmaßung der sensible Poet schließlich stolpern muß.

Obwohl es hier ständig um Gefühle und deren Mißachtung geht, bleibt der Film bis zum Schluß distanziert und kühl, interessiert sich mehr für harmlose Schlüssellochblicke und opulentes Ambiente. „Ich habe mein ganzes Genie in mein Leben gesteckt, in meine Werke nur mein Talent,“ hat Oscar Wilde geschrieben. Zumindest den zweiten Teil des Satzes kann man Brian Gilbert leider nicht unterstellen

(Atrium, Nürnberg, Manhatten, Erlangen).

BERND NOACK

Zur Film-Homepage von "Oscar Wilde" (englisch)

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