Siddhartha, im Fluß der Zeit
Auch Sven Nykvists schöne Bilder können wenig retten

Was gestern war, ist vergangen. Was morgen sein wird, wissen wir nicht. Nur die Gegenwart zählt, heißt es im Film – aber was, fragen wir uns, hat gerade er in ihr zu suchen? Ob man Hermann Hesse heute noch lesen kann, soll hier nicht entschieden werden. Die Verfilmung seines Romans „Siddhartha“ jedenfalls ist nurmehr schwer erträglich. Bereits 1972 hat sie der Amerikaner Conrad Rooks in Indien gedreht. Jetzt, nach einem Viertel- jahrhundert, ist sie auch in deutschen Kinos zu sehen. Warum so spät? Warum überhaupt? Soviel Wasser ist den Ganges inzwischen hinuntergeflossen, daß man sich angesichts der angestrengten Sinnsuche das Lachen nicht mehr verkneifen kann.

Das ist traurig, denn alles ist ernst gemeint. Fürchterlich ernst. Drum bekommt man, sobald sich ein Mund öffnet, jedesmal ein Wort zum Sonntag zu hören. Drum dürfen die Figuren, hölzern wie sie geschnitten sind, Hesses Legende nur als fernöstliches Krippenspiel aufführen, ohne eigenes Leben, ohne nachvollziehbare Geisteswandlungen. Siddhartha (Shashi Ka- poor), der weder in der Askese noch in der weltlichen Ausschweifung – Kurtisane Kamala gibt sich als Liebeslehrerin wahrlich Mühe – Erfüllung findet, wird als komischer Heiliger kaum mehr Jünger finden. lupus

 

1922 schrieb Hermann Hesse den Roman „Siddhartha“, der vor 2500 Jahren in Indien spielt. 1972 drehte Conrad Rooks in Indien den Film „Siddhartha“, der nach 25 Jahren in die deutschen Kinos kommt. Fragt sich nur, warum? Vielleicht spekuliert man nach dem Abklingen der Hesse-Modewelle auf das Interesse an Indien im allgemeinen und Meditation im besonderen.

Sicher ist nur, daß der amerikanische Regisseur, der heute zurückgezogen in Thailand lebt, sich bei der Verfilmung des Hippie-Bestsellers ziemlich übernommen hat. Denn er beschränkt sich darauf, den Plot des Entwicklungsromans mit wunderschönen Bildern vor indischer Original-Kulisse nachzustellen. Wo Hesses Sinnsuche in die Tiefe geht, bleibt der Film zwischen Kamasutra und Reiseprospekt an der Oberfläche hängen. Daran ändern auch die exquisiten Aufnahmen von Ingmar-Bergman-Kameramann Sven Nykvist und die stimmungsgvolle Musik von Hemant Kumar nichts.

Edle Menschen verbreiten edle Langeweile in edelkitschiger Landschaft. Die ziemlich dramatische Selbstfindung Siddharthas ist hier so aufregend wie das Blättern im Poesiealbum. Statt Dialoge hört man Sinnsprüche. Zusammen mit seinem Freund Govinda (Romesh Sharma) macht sich der junge Brahmane (Shashi Kapoor) auf die Suche nach dem Sinn des Lebens. Während Govinda bald die Lehren des Buddha für sich entdeckt, will Siddharta seinen eigenen Weg finden. Nach dem asketischen Leben als Bettelmönch bieten ihm weder Luxus noch Leidenschaft Erfüllung. Auch die Liebe zu der schönen Kurtisane Kamala (Simi Garewal), die ihm einen Sohn schenkt, scheitert am Ende.

Die Schauspieler schreiten durch diesen Film wie Märchendarsteller, auf psychologische Glaubwürdigkeit kommt es dem Regisseur nicht an. Szene reiht sich an Szene, lange Einstellungen entsprechen dem langsamen Erzählrhythmus.

Seinen Seelenfrieden findet Siddhartha erst als alter Fährmann am Fluß, der immer gleich und immer anders ist – so wie das Leben.

Rooks' Indien-Trip ist allerdings nicht gerade die Erleuchtung, sondern nur ein gutgemeintes Kuriosum in der Kino-Geschichte. Mein Tip für alle Sinnsucher: Wenn schon „Siddhartha“, dann vielleicht doch lieber Hesse lesen. radl

Informationen zu Anfangszeiten in den Kinos

zurück zur Titelseite

© NORDBAYERN INFONET