Tanz der Gefühle
„Tango Lesson“ von Sally Potter: Zärtlicher Kampf der Geschlechter
„Man muß viel gelebt und gelitten haben, um unsere Tangos zu verstehen“, sagt der Taxifahrer in Buenos Aires. Die Frau auf der Rückbank kennt den Tango, der aus dem Radio dudelt. Ob sie deshalb auch richtig begriffen hat, was „Tango“ bedeutet, bleibt fraglich.

Sally Potter hat einen Film über sich selbst und die Begegnung mit dem Tanz gemacht, der wie kaum ein anderer Gefühle zeigt. Leidenschaft und Intimität, Kampf und Konkurrenz zwischen Mann und Frau, Führung und Verführung – das alles ist in der Musik und fließt in die Körper der Tanzenden. Aber bis aus Tänzer und Tänzerin ein Paar wird, bis sich die Beine reibungslos ineinanderhaken und wieder voneinander lösen, müssen die komplizierten Schrittfolgen gepaukt werden, muß man üben, bis die Zehen schmerzen.

Regisseurin und Hauptdarstellerin Sally Potter spielt sich in „Tango Lesson“ selbst: Die Engländerin, die sich spontan in den Tango verliebt und bei dem argentinischen Startänzer Pablo Veron (ebenfalls gespielt von ihm selbst) in Paris Unterricht nimmt: Am Anfang stakst sie etwas plump und steif durchs Zimmer. Sie bleibt auch am Schluß immer eine Exotin in den Tangolokalen, sticht mit heller Haut und dem Gesicht einer viktorianischen Gouvernante von den rassigen argentinischen Schönheiten ab, die den Tanz wohl in die Wiege gelegt bekommen.

Das wirkt am Anfang störend, aber der Effekt ist Teil des Films. Sally kommt als Fremde in die Welt des Tangos, aber sie will dabei die selbstbestimmte Frau bleiben, die sie vorher war. Sie schließt einen Deal mit Pablo: Er macht sie zur Tänzerin, sie ihn zum Filmstar. Doch genau diese Gegenseitigkeit kann nicht funktionieren, weil beide bestimmen wollen.

Die Regisseurin benutzt den Tanz als Metapher für den ewigen Zweikampf zwischen Mann und Frau, für Anziehung und Abstoßung der Geschlechter. Zwischen Tangolehrer und Schülerin entwickelt sich eine Beziehung, die lange undefiniert bleibt. Die Harmonie endet dort, wo einer zu deutlich die Führung übernimmt. Pablo tut dies beim Tanzen, (weil Tango nicht anders funktioniert), Sally als Regisseurin. Und mit der Lust an der Führung spricht Sally Potter gleichzeitig das Gegenteil an: Die Angst, sich fallen zu lassen.

Im Film wird das Gefühlsdrama oft in Bewegung umgesetzt. In wirbelnde Paare auf der Tanzfläche, abgehackte Probedrehungen in Pablos Tanzstudio, einen grandiosen Küchen-Steptanz oder einen explodierenden Tango zu viert. Die Bewegungen der Tänzer – und der Kamera von Robby Müller – werden durch das Schwarzweiß der Bilder noch betont.

So überzeugend die Idee ist, die Essenz des Tangos in einer komplizierten Liebesbeziehung zu spiegeln – ganz überzeugt verläßt man das Kino nicht. Und das liegt wohl daran, daß man Sally Potter beim Tanzen mehr die Schmerzen in den Zehen als die Leidenschaft ansieht.

KATHARINA ERLENWEIN

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