Blondschopf auf Bergtour
Ethno-Kitsch: Jean-Jacques Annauds „Sieben Jahre in Tibet“

Dieser Gipfelstürmer ist ein Flüchtender. Als der österreichische Bergsteiger Heinrich Harrer 1939 von Graz aus zur Besteigung des Nanga Parbat im Himalaja aufbricht, läßt er auf dem Bahnhof seine weinende schwangere Frau zurück. Und ein Österreich, das seit einem Jahr Hitlers Großdeutschland einverleibt ist, mit dem Harrer offensichtlich nicht viel zu tun haben will. Unwirsch steckt er die ihm zum Abschied in die Hand gedrückte Hakenkreuzflagge in seine Manteltasche.

So hektisch und schlecht gelaunt, so trotzig und vom eigenen Ruhm eingenommen präsentiert der französische Regisseur Jean-Jacques Annaud den Bergsteiger Heinrich Harrer zu Beginn seines Films „Sieben Jahre in Tibet“, einer amerikanischen Produktion auf der Grundlage von Harrers gleichnamigen Buch.

Harrer beschreibt darin seine Erlebnisse nach der Himalaja-Expedition, die am Ausbruch des zweiten Weltkrieges scheiterte. Statt auf dem Nanga Parbat die Flagge zu hissen, landen Harrer und sein Bergführer, der Landsmann Peter Aufschnaiter, in der britischen Kronkolonie Indien als Kriegsgefangene im Internierungslager.

Ihrer Flucht schließt sich eine Odyssee durch das Himalaja-Gebirge und ein langer Aufenthalt in Tibet an, bei dem Harrer in der heiligen Stadt Lhasa den elfjährigen Dalai Lama kennenlernt. Und Harrer wird Zeuge, wie die Volksbefreiungsarmee Mao Tse Tungs Tibet erobert und an China anschließt.

Die brutale Niederwerfung der Tibeter, der bis heute insgesamt eine Million Menschen zum Opfer gefallen sind, sicherte Annauds Film schon vor seinem Start in den USA große Aufmerksamkeit. Würde der Regisseur die menschenverachtende Politik Pekings geißeln, würde es gar zu chinesisch-amerikanischen Irritationen kommen? Nun, die Aufregung war umsonst. Annaud hat mit „Sieben Jahre in Tibet“ vor allem einen üppig bebilderten Abenteuerfilm gedreht, der das alte Schema „Europäer lernt fremde Kultur kennen und wird dadurch geläutert“ neu variiert.

Die Wandlung beginnt bei Harrer, dem Brad Pitt das strahlende Siegerlächeln eines Edelgermanen aus Leni Riefenstahls Mottenkiste leiht, schon an den eisigen Steilwänden des Nanga Parbat. Im windigen Zelt rechnet er nach, ob sein Sohn bereits geboren ist und schreibt später gefühlvolle Briefe an ihn. Um so größer der Schock, als Harrers Frau ihm die Scheidungspapiere ins Internierungslager schickt. Harrer zeigt seinen Schmerz, indem er sich gegen Stacheldraht wirft.

Selten gelingen Annaud so eindrückliche Bilder der psychischen Verfassung seines Helden. Die Gespräche mit Aufschnaiter (David Thewlis) nach der Flucht bleiben oberflächlich. Daß aus einem spannungsgeladenen und feindseligen Verhältnis – der Egoma ne Harrer will sich den Anordnungen des Bergführers nicht beugen – schließlich eine tiefe Freundschaft wird, kann der Regisseur nicht glaubhaft machen. Seelenzustände cineastisch umzusetzen, ist Annauds Sache sowieso nicht. Wie schon bei der Duras-Verfilmung „Der Liebhaber“ liefert eine Stimme aus dem Off die Gefühle nach.

Dafür ist „Sieben Jahre in Tibet“ um so gieriger nach Bildern der fernöstlichen Kultur, die für das amerikanische Kino doch immer noch unverbrauchte Motive liefert. Mit großem Aufwand ließ Annaud die buddhistischen Klöster und Städte in den argentinischen Anden nachbauen. Tibetische Mönche wurden für Massenszenen um die halbe Welt geflogen.

Doch das Ergebnis im entscheidenden Berührungspunkt des Films ist mager. In Lhasa gewährt der junge Dalai Lama Harrer eine Audienz, weil er auf den „goldhaarigen“ Europäer neugierig ist. Brad Pitt hampelt bei der Begrüßungszeremonie herum wie ein Schuljunge. Viel zu schnell entwickelt sich zwischen dem geistigen Oberhaupt der Tibeter und dem österreichischen Bergsteiger ein kumpelhaftes Verhältnis, bei dem Harrer für den Dalai Lama ein Kino und ein Radio baut und ihm in einem ausrangierten Oldtimer ohne Räder das Autofahren beibringt. So einfach legt Annaud die Figur des Harrers an: Weil er im fernen Österreich seinen Sohn verlor, sieht er im kleinen Dalai Lama einen Ersatzsohn.

Die Widersprüche und Doppelbödigkeiten des historischen Heinrich Harrer, der als erster Bezwinger der Eiger-Nordwand und als Olympiasieger von 1936 ein gefeierter Star und auch Mitglied der NSDAP, der SA und sogar der SS war, interessieren den Regisseur nicht. Statt die Brutalität der chinesischen Eroberung zu zeigen, beschränkt sich „Sieben Jahre in Tibet“ auf ein paar pyrotechnische Spezialeffekte und auf das bewährte Klischee vom bösen Kommunisten – diesmal in der Person schlitzäugiger Generäle.

Am Ende ist Heinrich Harrer schließlich bei seinem Sohn angekommen. Nach dem Abschied aus Tibet und vom Dalai Lama lehrt er ihn Bergsteigen, erklimmt mit ihm den ersten Gipfel. Wie sich das Kennenlernen bei der Rückkehr nach Graz gestaltet, warum die Ex-Frau und ihr neuer Ehemann einverstanden sind, daß das Kind vom wahren Vater erfährt, verschweigt „Sieben Jahre in Tibet“. Wie so vieles andere auch.

Thomas Heinold

 

Der alte Heinrich Harrer wird sich amüsieren über den jungen Heinrich Harrer, der mit der neuesten Frisur von der kalifornischen Beachfront den kleinen Dalai-Lama fasziniert. „Goldenes Haar, goldenes Haar“ jubelt Seine Heiligkeit und strubbelt den Blondschopf. Die Kino-Begegnung der beiden liegt voll im Trend der amerikanischen Filmindustrie, die derzeit gleich mit drei Produktionen der Kultur der Tibeter frönt, die Besetzung des Landes durch die Chinesen anprangert und die Weisheit des Buddhismus aus gebührendem Abstand preist.

Das erzkapitalistische Hollywood hat damit eine unverhoffte Kampagne ausgelöst. Die reichen Studios, Disney vorneweg, werden von der chinesischen Regierung angegriffen. Sie droht mit der Sperrung ihrer lukrativen Märkte, ein Vergnügungspark in Shanghai zum Beispiel wäre ja ein schönes Geschäft. Bisher blieben die Amerikaner standhaft, es mag aber sein, daß die Debatte als überaus nützlich für die Publicity betrachtet wird.

Jedenfalls gab es für die Filmleute keine Dreherlaubnis vor Ort. Das allein kann aber noch kein Grund sein, daß der Franzose Jean-Jacques Annaud „Sieben Jahre in Tibet“ mit Ethno-Kitsch zupflastert und seinen Helden Heinrich Harrer mit einem gelangweilten Mode-Beau aus Los Angeles besetzt. Brad Pitt spielt den österreichischen Bergsteiger wie einen Teenie-Schwarm auf Trekking-Tour, womit das Abenteuer-Epos sich um jede Glaubwürdigkeit bringt. Keine sichtbare Spur von Passion und Ruhmsucht, die den Einzelkämpfer antreiben. Und keine sichtbare Spur von Wandlung, als er von den Tibetern eine andere Art der Selbstbehauptung lernt.

Annauds Verfilmung eines Bestsellers des inzwischen 85jährigen Harrer beschäftigt über die künstlerischen Kriterien hinaus die Öffentlichkeit. Der Regisseur, der um der Authentizität willen die Schwester des realen Dalai-Lama als Beraterin und Darstellerin engagierte, konnte wohl kaum ahnen, daß die Vergangenheit des Protagonisten im falschen Licht erscheint. Als aufkam, daß Harrer 1938 der SS beigetreten war und mit Hitler nach der Erstbesteigung der Eiger-Nordwand auf einem Ehrungsfoto erschien, entstand Klärungsbedarf. Der Franzose konterte: „Ich bin Spielfilmregisseur und kein Historiker“.

Heinrich Harrer wiederum gibt in guter Verfassung bestätigende Interviews und spricht von einem der größten Irrtümer seines Lebens. Er brach 1939 mit seinem Landsmann Peter Aufschnaiter zu einer Nanga-Parbat-Expedition auf und wurde nach Ausbruch des Krieges von der britischen Kolonialverwaltung in Indien interniert. 1944 gelang ihm die Flucht, er irrte zwei Jahre durch den Himalaja und lernte in Lhasa den damals 14jährigen Dalai-Lama kennen. Harrer kehrte erst 1952 nach Europa zurück.

In der Kinoversion, die mit pompösem Sound die beeindruckendsten Gipfelkulissen und Tempelpanoramen für die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes empfiehlt, wird enorm am Detail gebosselt. Der Look muß stimmen, Kleidung, Ausrüstung, ebenso die Zeremonien mit Hunderten von tibetischen Statisten. Jung-Heinrich im Drei-Tagebart bekommt von einer hübschen einheimischen Schneiderin einen feschen westlichen Anzug verpaßt, sein Begleiter Aufschnaiter (David Thewlis als raunziger Not-Kumpel) darf mit ihr sogar ein trautes Heim gründen.

Auf alles guckt der kleine Dalai-Lama mit dem Fernrohr, holt sich den blonden Fremdling in den Palast und läßt sich von ihm ein Kino bauen. In diesen Szenen entfaltet Annaud einen gewissen Charme, mit dem er sich über einen zumeist unsäglichen Dialog hinwegsetzen kann. Der religiöse Führer der Tibeter ist neugierig, wie es in Paris aussieht, sein Gast muß lernen, warum man beim Erdaushub sorgsam jeden Wurm durchsiebt. Daß der filmisch so schlicht arrangierte Kulturaustausch höchst heikle diplomatische Verwicklungen heraufbeschwor, gibt zu denken.

Der deutsche Constantin-Verleih ließ eine Erklärung der tibetischen Exilregierung verbreiten. Darin wird betont, daß Harrer während seiner Zeit in Tibet in keiner Weise „irgendeine Sympathie für nationalsozialistische Ideen“ äußerte. Jetzt versuche die chinesische Führung, die Welt mit einer Verleumdungskampagne irrezuführen. Genug Rummel um ein Bilderbuch-Stück, in dem die Chinesen – historisch unwiderlegbar – den Part der Bösen übernahmen.

INGE RAUH

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