Projekt Gutenberg: Auf dem Weg zur digitalen Weltbibliothek

Von Axel Knönagel, dpa

Eine Bibliothek, die immer geöffnet ist, in der alle im Katalog aufgelisteten Titel auch zur Verfügung stehen und deren Bestand man kostenlos mit nach Hause nehmen kann, ohne ihn je wieder hergeben zu müssen. Was wie der Wunschtraum eines Büchernarren klingt, ist dabei Gestalt anzunehmen. Mit Hilfe der modernen Computernetze ist eine digitale Bibliothek im Entstehen begriffen, die genau diese Wünsche zu erfüllen verspricht. Ihr Name: Projekt Gutenberg.

Der Grundgedanke dieses Vorhabens ist ganz einfach: Ein Text, der in einen Computer eingegeben worden ist, kann von anderen Computern abgerufen werden. Somit wird es möglich, von einem einzigen Computer aus einen Text in die ganze Welt zu bringen. Voraussetzung ist lediglich, daß man Zugang zum weltweiten Datennetz hat.

Seinen Ursprung hatte das Projekt Gutenberg 1971 im Rechenzentrum der Universität von Illinois. Rechnerzeit war billig und im Überfluß vorhanden. Um sie sinnvoll zu nutzen, beschloß eine Arbeitsgruppe, die Sammlungen von Bibliotheken für den Computer so aufzubereiten, daß sie abrufbar und unendlich häufig reproduzierbar wären. Den Anfang machte das Projekt Gutenberg mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung.

Seither ist das amerikanische Projekt Gutenberg erheblich gewachsen. Von einer zentralen Anlaufadresse aus ( http://www.promo.net/pg/ ) lassen sich mittlerweile rund 900 Titel elektronisch abrufen. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um Klassiker der britischen und amerikanischen Literatur. Neben Gesamtausgaben der Werke von Shakespeare, Jane Austen und Robert Louis Stevenson sind auch historische Dokumente und anspruchsvolle wie unterhaltende Literatur zu finden.

Das Ziel ist, bis zum Jahr 2001 insgesamt 10 000 Titel elektronisch zugänglich zu machen. Wie der Leiter des Projekts, Michael Hart, betont, „werden die Texte ausgewählt, die vermutlich von einer großen Leserschaft verlangt und häufig benutzt werden“. Natürlich sind sämtliche Texte auf Englisch.

Ein zentrales Problem der digitalen Bibliothek ist das Urheberrecht. Wer sich einen Text herunterlädt, macht ihn zu seinem Eigentum. Kauft man ein Buch im Laden, bezahlt man damit auch etwas für den Autor, aber der elektronische Text ist kostenlos. Daher ist die Auswahl der Texte beschränkt auf Schriftsteller, deren Copyright erloschen ist. Zur Zeit bedeutet das, daß die Verfasser seit mindestens 75 Jahren tot sein müssen.

Mittlerweile gibt es auch eine deutsche Variante des Projekts Gutenberg, die hauptsächlich an den Universitäten Düsseldorf und Hamburg betrieben wird. Unter http://www.abc.de/gutenb/gutenb/htm lassen sich mittlerweile rund 300 deutschsprachige Texte abrufen, zumeist Klassiker der deutschen Literatur und Märchen.

Die Übertragung ist denkbar einfach. Hat man sich für einen Text entschieden, klickt man einfach den Titel an und der Text wird automatisch übertragen. Bei langen Texten wie Romanen ist die Übertragung mehrerer Dateien nötig, die allerdings problemlos aneinander anschließen. Die einfache Handhabung ist ein wichtiges Ziel des Projekts Gutenberg. Die Texte sind im einfachen ASCII-Format gespeichert, so daß sie in sämtlichen Computersystemen lesbar sind. Allerdings sind sie somit unformatierter, „reiner“ Text. Auch auf Illustrationen verzichten die Programmgestalter, da Grafiken sehr aufwendig zu speichern und zu übertragen sind.

Hat man sich einen Text heruntergeladen, kann man ihn in die eigene Bibliothek eingliedern. Ein grundsätzliches Problem bleibt jedoch: Die Texte des Projekts Gutenberg sind nicht sehr lesefreundlich. Wohl kaum jemand möchte einen ganzen Roman am Bildschirm lesen, und druckt man ihn aus, verbraucht man nicht nur viel Tinte und Papier, sondern hat auch eine Loseblattsammlung zu verwalten. Dann ist ein Buch aus dem Laden letzten Endes doch praktischer.

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