Wenn der Peiniger wieder frei ist: Computer warnt die Opfer

Von Christine Biegler, dpa

San Francisco - Lena Bivens aus San Francisco (Kalifornien) wurde monatelang von einem Mann telefonisch bedroht. Der Horror war so groß, daß sie sich am Ende kaum noch aus dem Haus traute. Anfang Sommer landete ihr Peiniger schließlich hinter Gittern, aber ein Teil der Angst blieb. Jeden Tag rief Lena im Bezirksgefängnis von San Francisco an, um sicherzugehen, daß der Mann auch tatsächlich weiter hinter Schloß und Riegel saß.

In Kürze kann die junge Frau zumindest etwas durchatmen. Dann muß sie nicht mehr zu ihrer Beruhigung täglich zum Telefon greifen, sondern wird automatisch über die etwaige Freilassung ihres einstigen Verfolgers informiert. Reicht ihr das nicht aus, kann sie sich schon vorher ständig über eine gebührenfreie Hotline auf dem Laufenden halten - das heißt, sie kann erfragen, in welchem Gefängnis der Häftling sitzt, ob eine Verlegung, ein Gerichtstermin oder ein Hearing über einen Antrag auf vorzeitige Freilassung ansteht.

Das Programm, das in den nächsten Wochen im Raum San Francisco eingeführt werden soll, heißt VINE. Das ist das Kürzel für Victim Information and Notification Everyday (Information und Benachrichtigung von Opfern an jedem Tag). Rund 300 Bezirke in über 20 US-Staaten beteiligen sich bereits, und dutzende weitere wollen wie San Francisco in Kürze dem Beispiel folgen.

Und so funktioniert das Programm: Haftanstalten in den angeschlossenen Regionen werden per Computer mit einer zentralen Stelle in Louisville (Kentucky) verbunden. Hier laufen die Informationen zusammen. Opfer von Verbrechen können sich mit Hilfe ihrer örtlichen Polizei registrieren lassen und rund um die Uhr die Hotline benutzen - wenn erwünscht, auch anonym. Zusätzlich wählt ein Computer die betroffene Person binnen zehn Minuten an, wenn die Haftentlassung ihres Peinigers erfolgt. Auch bei etwaiger Flucht gibt es in kürzester Zeit eine Benachrichtigung.

Der Computer-Service wird von den jeweiligen Bezirken finanziert. Auf San Francisco etwa kommen monatliche Kosten von rund 5 000 Dollar (rund 9 000 Mark) zu. Ein Teil der Aufwendungen soll durch die Einrichtung einer zweiten Telefonverbindung im nächsten Jahr wettgemacht werden: Dann kann sich jeder, der es will, zum normalen Tarif plus 1,50 Dollar extra über den „Status“ von Häftlingen informieren. Experten erwarten, daß dieser Service vor allem von Anwälten, Kautionsstellern sowie Verwandten von Häftlingen genutzt wird - nicht zu reden von neugierigen Mitbürgern, die wissen wollen, wie lange ihr straffällig gewordener einstiger Nachbar noch brummen muß.

VINE richtet sich vor allem an die Opfer von häuslicher Gewalt. „Schläger kehren nach ihrer Freilassung oft zu ihren früheren Zielobjekten zurück,“ sagt Barbara Kaufman, Städträtin in San Francisco. „Das Programm gibt den Opfern die Möglichkeit, wachsam zu sein und Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, anstatt völlig überrascht zu werden.“ Tatsächlich ist häusliche Gewalt ein wachsendes Problem in den USA. Nach einer jüngsten Studie des Justizministeriums werden jährlich rund 250 000 Menschen wegen Verletzungen behandelt, die ihnen von einem nahestehenden Partner zugefügt wurden - von der Dunkelziffer ganz zu schweigen.

Experten räumen zwar ein, daß die Informationsmöglichkeit bei vielen ehemaligen Opfern zu Panik und erhöhter Angst führen könnte, wenn der frühere Angreifer schließlich wieder frei sei. Aber die große Mehrheit werde sich sicherer fühlen. „Das Programm wird ihnen helfen, ihr Leben besser unter Kontrolle zu haben und überlegte Entscheidungen über etwaige Vorsichtsmaßnahmen zu treffen,“ so Sheriff Mike Hennessey im „San Francisco Examiner“.

Die Kalifornierin Jill Weissich jedenfalls ist fest davon überzeugt, daß ihr Vater noch am Leben wäre, hätte es das VINE-Programm schon 1986 gegeben. In jenem Jahr wurde Ex-Staatsanwalt William Weissich in seinem Büro erschossen. Der Täter war ein Mann, den er 30 Jahre zuvor hinter Schloß und Riegel gebracht und der nach seiner Verurteilung Rache geschworen hatte. Drei Jahrzehnte - nach so langer Zeit habe sich ihr Vater sicher gefühlt, schildert die Tochter. Sie glaubt, daß ihn vielleicht schon kleine Vorsichtsmaßnahmen hätten retten können - etwa der Besitz von Pfefferspray.

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