Bildschirmarbeitsplätze auf dem Prüfstand
Betriebe in allen Wirtschaftsbereichen müssen Verordnung umsetzen – BDA: „Jammern nützt nichts“ – Gewerkschaft: „Hohe symbolische Bedeutung“
Von AP-Korrespondent Uwe Käding

Frankfurt/M (AP) Für die einen eröffnet die Verordnung ein „riesiges Streitfeld“, für die anderen ist es das „ganz große Querschnittsthema“. So charakterisieren der Leiter des Referats für Arbeitswissenschaft beim Bundesverband Deutscher Arbeitgeber (BDA), Karl-Josef Keller, und der Experte der Technologieberatungsstelle (TBS) beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), Gottfried Richenhagen, die Bildschirmarbeitsverordnung, die allmählich in den Alltag nahezu aller deutschen Betriebe einzugreifen beginnt.

Am 21. August läuft die erste wichtige Frist ab: Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten müssen ihre Bildschirmarbeitsplätze bis dahin einer „Gefährdungsbeurteilung“ unterzogen und diese auch dokumentiert haben. Für Kleinstbetriebe entfällt lediglich die Dokumentationspflicht.

Die Ende vergangenen Jahres von der Bundesregierung nach den Vorgaben einer EU-Richtlinie verabschiedete Verordnung gibt den Betrieben maximal bis zum 31. Dezember 1999 Zeit, Bildschirmarbeitsplätze auf den von ihr vorgegebenen Stand zu bringen. Bei Änderungen im Betriebsablauf, Einführung neuer Software und Geräte sowie Umzügen sind die Auflagen sofort zu erfüllen. Und das ist, wie Keller und Richenhagen übereinstimmend sagen, juristisch verbindlich. Der ergonomisch gestaltete Bildschirmarbeitsplatz ist laut Richenhagen nunmehr ein „einklagbares Individualrecht“, das auch für Keller eine neue Dimension im Arbeitsschutz bedeutet: „Bislang galten dieselben Vorgaben mit Ausnahme der Software und der psychischen Belastung nur als technische Regeln.“

Die Einbeziehung von Software und psychischer Belastung ist neu im deutschen Arbeitschutzrecht und eine Folge des europäischen Einigungsprozesses. Der hat nach Angaben des zuständigen Referatsleiters im hessischen Sozialministerium, Klaus Palm, bereits 90-95 Prozent aller Arbeitsschutzregelungen erfaßt. Die europäische Harmonisierung bringt nach seinen Worten eine „Höherwertigkeit des Arbeitsschutzes“, nicht aber unbedingt auf höchstem Niveau: In Schweden müssen Arbeitsplätze beispielsweise so gestaltet sein, das auch „Mobbing“ erschwert wird. Mit dem Begriff „Beschäftigte“ ist in der Bildschirmarbeitsverodnung darüber hinaus die in Deutschland bislang gepflegte Unterscheidung zwischen Privatwirtschaft und Öffentlichem Dienst weggefallen.

Die Arbeitsschutzämter der Länder werden die Einhaltung der Bildschirmarbeitsverordnung kontrollieren. Bis zum Herbst wird der Länderausschuß für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (Lasi) einen Leitfaden mit besonderem Augenmerk für Beratung und Prüfung der Kleinstbetriebe erstellen, der auf zwei DIN-4-Seiten passen soll. Damit werden die „Arbeitsinspekteure“ in allen Ländern nach ein und demselben Raster prüfen, wie Palm betont. Angesichts der vielen Einstellungsmöglichkeiten, die moderne Software bietet, werde vor allem der „Schulung der Beschäftigten große Bedeutung zukommen“. Stellt ein Kontrolleur etwa fest, daß als Bildschirmfarben an einem Gerät lila Hintergrund auf grüner Schrift eingestellt ist, wird es bei der Rüge für diese Augentortur entscheidend darauf ankommen, was der betroffene Arbeitnehmer über Ergonomie am Bildschirm vermittelt bekommen hat. Dies sicherzustellen liegt nämlich in der Verantwortung der Unternehmensleitung, betont er. Es passiere bislang aber sehr selten, daß die Inspekteure bei zu großen Mängeln Betriebsteile wegen zu großer Mängel stillegten.

Keller berichtet von einem „großen Unverständnis in den Unternehmen für eine so umfangreiche Verordnung“. Die Einklagbarkeit in Verbindung mit den Mitbestimmungsrechten der Betriebsräte sorge für einige Unruhe. Es gebe schon viele Einigungsstellen – Folge „horrender Forderungen von Betriebsräten“. Große Auseinandersetzungen stünden insbesondere in Unternehmen bevor, „in denen die Chemie zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung nicht stimmt“. Angesichts der Einklagbarkeit des Ergonomiestandards sollten Geschäftsleitungen frühzeitig den Dialog suchen, die „eine tragende Rolle spielende Dokumentation“ möglichst selbst erstellen – was allerdings nicht ohne Qualifizierung und Schulung von Mitarbeitern zu schaffen sei. „Jammern nützt nichts“, sagt Keller.

Zur Zeit bereiten sich Arbeitgeber- wie Gewerkschaftsseite mit Informations- und Seminarangeboten auf die kommende Auseinandersetzungen vor. Keller berichtet von einem „riesigem Interesse“ der Unternehmen an seinen Informationsveranstaltungen und einer BDA- Broschüre zum Thema. Richenhagen meldet rege Teilnahme an Fachseminaren und betont die „hohe symbolische Bedeutung“ der Verordnung, die wie kaum eine andere alle Bereiche der Wirtschaft erfasse.

Darüberhinaus schafft die Verordnung einen Boom für Dienstleister, die ihre Hilfe bei der Gefährdungsanalyse anbieten. Palm erklärt, von Amts wegen werde keines der vielen Prüfverfahren abgelehnt – die Verordnung schreibe ja kein bestimmtes vor. Die TBS in Oberhausen bietet Ergonomieberatern den Erwerb eines Zertifikats an, das ihnen die Beherrschung des von ihr entwickelten ABETO-Verfahrens (Arbeitsplatzbeurteilung nach Bildschirmarbeitsverordnung und EU-Richtlinie der TBS Oberhausen) bescheinigt. Dieses besteht aus einer Checkliste und einem 100-Fragen-Test.

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