Mausklick statt Kreide: Studium im virtuellen Klassenzimmer

Von Ute Eberle, dpa

Tamara Ikenberg träumte davon, die Vorlesungen im Bett zu hören. Angesteckt vom allgemeinen Rummel um das Internet hatte die Studentin aus Baltimore (US-Bundesstaat Maryland) beschlossen, kurz vor ihrem Abschluß ein Fernseminar von einer anderen Universität auszuprobieren. Schließlich schien das im Zeitalter der neuen Medien der große Trend in Amerika zu sein. In den vergangenen fünf bis zehn Jahren ist die Zahl der Hochschulen, die Kurse per Video, E-Mail oder On-Line-Chat anbieten, nach Aussage von Bildungsexperten „explodiert“. Mancherorts können Studenten inzwischen schon ein Studium abschließen, ohne jemals einen Fuß in ein Uni-Gebäude gesetzt zu haben.

Der Säulenbau im klassisch-griechischen Stil der „VirtuellenOnline Universität“ (VOU) in den USA existiert nur auf dem Computerbildschirm und kann per Maus-Klick verschwinden. Hier einen Kurs zu belegen heißt, sich regelmäßig mit dem Dozenten im Cyberspace zu „treffen“, um über den Unterrichtsstoff zu „chatten“.

„Für uns hat das erhebliche finanzielle Vorteile“, sagt Steven Prine von der VOU. „Wir müssen zum Beispiel keine Gebäude oder Parkplätze bauen.“ Üblicherweise werden für Fernkurse die gleichen Studiengebühren erhoben wie für Seminare auf dem Campus.

Shakespeare-Vorlesung nachts im Bademantel, Wirtschaftskreisläufe zwischen Einkaufen und Kinder wickeln - Seminare per Computer erlauben auch denen ein flexibles Studieren, die Beruf oder Familie haben. Tamara Ikenberg war dennoch nicht überzeugt von ihrem Experiment. „Das Thema war interessant, aber der Kurs langweilig“, klagte die Studentin. „Ich hätte das alles auch einfach in einem Buch nachlesen können“. Ihr Fernseminar war vergleichsweise primitiv konzipiert: per Post bekam sie zwei Bücher und ein Dutzend Videos zugeschickt - der einzige Internet-Aspekt bestand darin, über E-Mail Hausaufgaben gestellt zu bekommen und sie ebenso abzugeben. „Aber alle Kontakte mußte ich selber einleiten, von alleine hat sich meine Lehrerin nicht gerührt“.

Experten überrascht das wenig. „Eine der großen Debatten geht momentan darum, wie ein gewisser Standard eingeführt werden kann“, sagt Ed Gehris von der „Gesellschaft für Weiterbildung an Universitäten“. „Der Bereich des Fernstudiums ist in letzter Zeit gewuchert, es werden mehrere Tausend Kurse angeboten und ihre Qualität ist sehr unterschiedlich“.

Gesicherte Zahlen über Angebot und studentische Nachfrage gibt es nicht, doch eins ist klar: hinter einem Fernseminar oder auch „On-Line-Kurs“ können sich heutzutage ganz verschiedene Dinge verbergen. Während in Tamara Ikenbergs Seminar etwa Video- und Computertechnik kombiniert wurden, laufen andere Seminare nur über E-Mail oder Internet-Chat. Und während viele Fernstudenten ihre Studienzeit frei einteilen können, müssen andere feste Stundenpläne im virtuellen Klassenzimmer einhalten.

Für Lehrkräfte heißt das Unterrichten mit Tastatur und Maus, daß sie auf alle Fälle vor undisziplinierten Schülern sicher sind. Aber wie sieht es mit Mogeln bei den Hausaufgaben und Prüfungen aus, die weit entfernt von jeder Aufsicht stattfinden? „Ich habe geschummelt“, gestand etwa Tamara Ikenberg, die ihren Vater einen Teil der Arbeit machen ließ und dann die bestmögliche Note für den Kurs kassierte.

Doch auch das ist nicht überall gleich. „Es ist völlig unmöglich, daß einer meiner Studenten einen fremden Text einreicht. Ich kenne sie so gut, daß ich das sofort merke“, sagt etwa Skip Knox, der seit drei Jahren an der Universität von Idaho in Boise Geschichte per Computer lehrt und streng auf regelmäßige E-Mail-Beteiligung achtet.

Viele Fragen sind noch ungeklärt, doch über eines scheinen sich alle einig zu sein: Auch Computer & Co. werden das gute alte Klassenzimmer samt Kreide und Tafel nicht verdrängen. Weder sind alle Fächer für einen Fernlehrgang geeignet, noch alle Schüler und Lehrer. Oder wie es Tamara Ikenberg ausdrückt: „Vier Wände, einen tollen Professor, eine Ecke mit Freunden und ein Stapel Bücher - das ziehe ich allemal vor“.

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