Abitur – und was dann?
Nach 13 mühevollen Schuljahren sind viele am Ende ihres Lateins

Abitur, was dann? Vor dieser Frage stehen wahrscheinlich etliche Jugendliche, die nach 13jährigem, mühevollem Abrackern am Ende ihrer schulischen Laufbahn und gleichzeitig ihres Lateins sind.

Studium, alt und grau werden bis zum ersten Gehalt, um dann letztlich mit 36 zu erfahren, daß der Job eigentlich aussichtslos und dazu stinklangweilig ist? Oder dann doch lieber eine Lehre nach dem Abitur, sozusagen aus Vernunft bei der Sparkasse anfangen, am Schreibtisch sitzen und Zahlen tippen, über Zahlen reden, Zahlen lesen, von Zahlen träumen, nur um die eigene Stromrechnung zahlen zu können? Für einige erfüllender Alltag, für mich spätestens nach zwei Wochen cauchmare pur.

Doch es hilft alles nichts: Ich muß mich jetzt über Glück oder Unglück, Sinn oder Unsinn, Eigentumswohnung oder Sozialhilfe meines zukünftigen Lebens entscheiden. Um mir bei dieser schwierigen und durchaus folgenschweren Entscheidung zu helfen, das unmündige Kind sozusagen auf geordnete und glückliche Bahnen zu lenken, veranstaltete das Wolfram-von-Eschenbach-Gymnasium in Schwabach erstmalig eine sogenannte Berufsbörse. Hierzu wurden erfahrene Erwerbstätige aus den verschiedensten Bereichen geladen, die dann vor uns über ihre tägliche Tätigkeit referieren sollten. 16 unterschiedliche Berufsfelder wurden vorgestellt und uns somit ein kleiner Eindruck davon gegeben, was später wohl möglich auf uns zukommen sollte.

Die Tatsache, daß gleich zwei Bankenvertreter anwesend waren, die uns das Geldzählen, Geldtippen, Zahlensprechen und Stromrechnung-bezahlen-können schmackhaft machen wollten, ja uns sogar mit edlen Stiften lockten, eine Lehre in ihrem Institut zu absolvieren, mutete mir ein wenig selt sam an. Lehrstellenmangel überall, Arbeitslosen-Highlights wie schon seit 1933 nicht mehr und die Bank schreit nach Personal.

Alle anderen Professionellen wollten uns sicherlich nicht den letzten Rest an naivem Überlebensglauben und Optimismus rauben, im Grunde schafften sie es aber doch, uns grenzenlos zu deprimieren. Sonderschullehrer sind anscheinend ziemlich gefragte Leute, da der Umgang mit Behinderten und deren Förderung ganz zweifellos in Zukunft eine große Rolle spielen wird. Geld verdienen – und das wäre ja ein ganz interessanter Nebenaspekt, wir sind ja keine Samariter – kann man damit aber nur selten, nämlich dann, wenn man zu den wenigen Glücklichen zählt, die auch eine Stelle und damit ihr monatliches Gehalt bekommen.

Doch auch nach diesem Rückschlag muß man den Kopf nicht hängen lassen, schließlich kommen wir jetzt zum weitverbreiteten Beruf des Historikers. Dies scheint für uns alle der ideale Beruf zu sein, da wir hier unsere hervorragend ausgebildeten Lateinkenntnisse optimal einbringen können, das siebenjährige stupide Auswendiglernen, euphemistisch auch als Gehirntraining bezeichnet, doch nicht ganz umsonst war.

Leider ist uns nicht so ganz klar, wer Historiker anstellt. Eventuell der Staat, sollten sie ganz nebenbei auch noch ein As in Englisch oder Deutsch sein und somit ihr Staatsexamen bestehen. Die Chancen für Wunderkinder stehen eigentlich ganz gut, schließlich wurden letztes Jahr alle angestellt, die einen besseren Notendurchschnitt hatten als 1,6. Das wird für uns Eliteschüler ja wohl kein Problem sein, oder?

Der Chirurg wiederum zeigte uns Knochenbrüche und zerbrach anschließend all unsere Illusionen. Operieren von früh acht Uhr bis abends fünf sei ganz normal, Wochenende und Nachtschicht natürlich ein Muß. Ein zugegeben wirklich interessanter und toller Job, doch als der Arzt so nebenbei erwähnte, daß man mit 40 eigentlich erst fertiger Chirurg sei und frei operieren dürfe, verkniff ich mir die Frage, ob in diesem Beruf eine Symbiose zwischen Karriere und Familie herrschen könnte.

Einzige positive Erfahrung dieses weitgehend deprimierenden Tages war die Erkenntnis, daß man eigentlich tatsächlich studieren oder lernen kann, was einem Spaß macht, exotisch oder konservativ, Afrikanologie oder Bankkaufmann, ganz egal. Das Argument, daß dieser Berufswunsch ziemlich unsicher, sogar aussichtslos sei, zählt nicht mehr. Aussichtlos scheint momentan eigentlich jeglicher Bildungsweg.

Also studiert doch, was ihr wollt, arbeitslos werden wir sowieso. CLAUDIA LEHNEN, Schwabach

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