Internet: Bücherei ohne
Öffnungszeiten
Das Surfen auf der Datenautobahn ist für Anfänger ziemlich
verwirrend – Vorsicht „Suchtgefahr“

Du kommst rein, keiner schaut dich an. Statt dessen stieren zwölf Jugendliche durch das Halbdunkel in ihre Computer. Das Klackern der Tastaturen geht im Hämmern der Techno-Musik völlig unter. Im „Falcons Maze“ in der Königstraße in Fürth ist das Alltag. „Falcons Maze“ ist das erste Internet-Café in Fürth und besteht schon seit mehr als zwei Jahren.

Für ein Referat über Präsident Bill Clinton brauche ich viele Infos. Und natürlich das Allerneueste. Lange Suchereien in Büchereien, in denen ohnehin die aktuellen Bücher gleich vergriffen sind, möchte ich vermeiden. Deshalb versuche ich's im Internet, die „Bücherei“ ohne Öffnungszeiten. Internet, die Datenwelt, von der alle reden, aber angeblich nur zwei Prozent in Deutschland nutzen. Zu denen gehörte ich bisher auch mit meinen „Word“-Kenntnissen.

Im Internet gibt es mehr als 80 Millionen „Surfer“ (Benutzer), zu denen täglich weitere 50 000 weltweit dazukommen. Allein in Deutschland sind es jeden Tag 3000 mehr. Da wird also mehr verlangt sein, als zu wissen, wo die „Enter-Taste“ ist.

Ich sitze vor dem Bildschirm und verstehe nichts. Zum Glück gibt es da noch den Inhaber Reinhold Pretscher. Er kümmert sich auch um minderbegabte Surfer wie mich und gibt ihnen ein paar Tips fürs Internet. Vor zwei Jahren brachte seine Schwester ihn auf die Idee, ein Internet-Café zu eröffnen. Er gehörte damals zu den ersten Besitzern eines „Multimedia-Cafés“.

Schwarze Jeans, ein graues T-Shirt und ein Drei-Tage-Bart, so sieht der 25jährige aus, der heute mehr als acht Stunden pro Tag in der Datenautobahn surft. „Ich kann heute ohne Internet nicht leben. Es würde mir irgend etwas fehlen.“

Dem Einsteiger fehlt auch so mancher Durchblick. Deshalb gibt es im Internet eine sogenannte „Suchmaschine“. Einen Klick mit der Maustaste auf „Alta vista“ und eine lange Liste mit unzähligen Oberbegriffen und Themen leuchtet in blauer Kleinschrift auf. Mehr als 22 000 Themen hat man zur Auswahl.

Reinhold Pretscher klickt noch schnell ein paar andere Verzeichnisse an. Dabei flitzt die Maus unter seiner Hand ganz flink in alle Richtungen. Der Ablauf bleibt noch unnachvollziehbar. „Alles Routine“, lächelt er meinem verzweifelten Blick zu und läßt mich mit meinem Schicksal allein.

Nebenan sitzt Anke. Seit mehr als zwei Stunden starren ihre Augen nur noch abwechselnd auf Tastatur und Bildschirm. „Ich bin voll im Streß“, erzählt die 19jährige Studentin kurz. Kein Wunder. Sie ist nicht in einer, sondern gleich in drei dieser Diskussionskanäle. Im Internet gibt es davon mehr als 5000. Hier unterhält man sich nicht nur über den Nasenring von der Sängerin der Spice Girls oder über die Scientology-Sekte, sondern auch belangloses Blabla ist üblich.

„Ich unterhalte mich mit Jungs und Mädchen aus der ganzen Welt, meist auf englisch. Neulich hab' ich auch einige bei einer dieser ,Relate Parties' wieder getroffen“, erzählt Anke. „Relate Parties“ sind organisierte Treffen zweimal im Jahr, auf denen sich die Surfer auch mal „live“ sehen können.

Über's Internet kann man nicht nur innerhalb kürzester Zeit einen Brief von einem Kontinent zum anderen schicken, oder z. B. in der Zeitschrift „Focus“ lesen, für den Nachbarn Blumen oder Pizza bestellen, man kann auch seine Bankgeschäfte über eine virtuelle Bank im Netz abwickeln.

Alles schön und gut: bei mir geht's aber nicht weiter. Für einen Anfänger kann das ganze mit dem „Surfen auf der Datenautobahn“ ziemlich verwirrend sein. „Zwei Monate braucht man ungefähr, bis man einigermaßen durchcheckt“, beruhigt Reinhold Pretscher. Bis dahin heißt es: Viel Geduld und Mühe, bis man schließlich seine eigenen „Treffs“ und wichtigen Adressen gefunden hat.

Der bärtige Markus Neubauer, Entwickler von Internetseiten: „Irgendwann, wenn so gut wie jeder das Internet benutzt, werden Einrichtungen wie die Post nicht mehr existieren“, glaubt der 18jährige. Briefe und Bewerbungen würden dann nur noch per „e-mail“ laufen.

Markus ist auch so gut wie jeden Abend im Computer-Bistro und surft herum: „Internet macht auf Dauer wirklich süchtig.“ Anke stimmt ihm zu: „Man kann damit gar nicht mehr aufhören. Ich hab' schon mal 'ne ganze Nacht vor dem Computer verbracht und mails (Briefe) geschrieben.“

Und was ist charakteristisch für den Internetsurfer? Pretscher: „Es gibt kein typisches Alter. Er liest weniger Zeitschriften, schaut weniger Fernsehen und hat verdammt hohe Telefongebühren.“ Wenn man nicht aufpaßt, kann man sich in den Bankrott surfen.

Fazit: Natürlich werde ich wieder ins Café gehen und surfen. Notgedrungen werde ich mich mit dem Net anfreunden. Und vielleicht kann ich dann auch einmal mit Bill Clinton chatten.
NEGAR BONAKDAR, Studentin

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