Neuer Karl-May-Band
Rätselhaftes aus Miramare und Grafenreuth

Es soll erwachsene Menschen geben, die bei ihrem Anblick wieder zu hoffnungsvollen Kindern werden: Die berühmten grünen Bände mit dem goldverzierten Buchrücken aus dem Karl-May-Verlag machen sogar manche Professoren, Politiker, Wirtschaftskapitäne und andere große Jungens schwach.

Die Erwachsenen erfüllen sich den Traum, den Jugendliche in der Regel aus Gründen des Taschengeldes vergeblich träumen, nämlich alle grünen Bände im Regal zu haben, vom ersten Titel "Durch die Wüste" bis zum letzten. Obwohl Karl May bereits 1912 gestorben ist, gibt es immer wieder einen neuen "letzten" Band.

Der neueste trägt die Nummer 78 und heißt "Das Rätsel von Miramare". Darin sind zwei Erzählungen Mays vereinigt. Die erste Geschichte unter dem gleichnamigen Titel handelt von einer abenteuerlichen Befreiungsaktion in Triest. Es geht um die spektakuläre Sprengung eines Mädchenhändlerrings, wobei Mays bayerischer Meisterdetektiv Wurzelsepp mit von der Partie ist.

Sogar der "Märchenkönig" Ludwig II. taucht an der Adriaküste auf. Die turbulente Jagd nach den Verbrechern spielt teilweise in den von May in vielen Büchern gern als Kulisse benutzten unterirdischen Gängen.

Die zweite Erzählung heißt "In den Gewölben von Schloß Grafenreuth" und bietet einen Abschluß der Saga um die Familie Adlerhorst, der schon frühere May-Bände wie "Im Tal des Todes" gewidmet waren. Auch hier spitzen sich die Ereignisse unter der Erdoberfläche in dunklen Gängen und Fluchten zu.

Für Fans des sächsischen Abenteuerschriftstellers dürfte entscheidend sein, daß es ein Wiedersehen mit dem berühmten "Kleeblatt" der drei Westmänner Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker gibt. Sogar der schrullige Lord Sir David Lindsay, den vielen May-Leser in ihr Herz geschlossen haben, tritt wieder auf.

Wie kommt es, daß es diese beiden Erzählungen jetzt erst im Karl- May-Verlag gibt? Bei beiden Texten handelt es sich um Teile von Mays Kolportageromanen "Der Weg zum Glück" (1886-1887) und "Deutsche Herzen, deutsche Helden" (1885-1887).

Beide Geschichten können auch für sich stehen und wirken in sich abgeschlossen. Vom Karl-May-Verlag wurden sie bislang ausgeklammert. Es mag auch sein, daß gewisse Schwächen zunächst zu ihrer Zurückstellung geführt haben, denn zweifellos entbehren sie des Schwungs und der Brillanz anderer großer Reiseromane Mays.

Im Rahmen der jeweiligen Gesamtromane würden die beiden jetzt vorgelegten Episoden zunächst schwach, ja enttäuschend wirken, räumt der Bearbeiter Prof. Christoph F. Lorenz im Nachwort ein. Als für sich lesbare Erzählungen könnten sie aber durchaus fesseln. Diesem milden Urteil darf man sich anschließen und auf weiteres vom Verlag warten.

Klemens Kindermann Karl May: Das Rätsel von Miramare,

Karl-May-Verlag, Bamberg/Radebeul, 560 S., DM 24,80

Die Karl-May-Gesellschaft im Internet

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