Die Rückruf-Meldungen der
Autohersteller häufen sich

Die jüngste Rückrufaktion eines Automobilherstellers findet in den USA statt und betrifft 1,1 Millionen Ford-Fahrzeuge, überwiegend Pick-ups und kleine Nutzfahrzeuge. Darunter sind 13 000 Lincoln Navigator, weil sich bei dem erst im Juni eingeführten Kleinlaster ein Kupplungszug von der Halterung der Lenkachse lösen und Schaltprobleme verursachen kann, außerdem 69 000 Kleinwagen der Baureihen Mercury und Escort wegen möglicher Risse im Tank und 9200 Lastwagen und Busse wegen Problemen mit der Verkabelung, dem Gashebel oder zu schwachen Schweißnähten an der Hebetür.

Ford hatte bereits 1995 knapp neun Millionen Fahrzeuge überprüft, weil Kurzschlüsse am Zündschalter zu Fahrzeugbränden geführt hatten. Ein halbes Jahr vorher mußten in den USA acht Millionen Autos von neun verschiedenen Herstellern wegen Mängeln an den Sicherheitsgurten in die Werkstätten zurückgerufen werden.

Kaum einer bleibt verschont

Kaum ein Autohersteller ist von Fehlern solcher Art verschont geblieben, seien sie schon bei der Konstruktion oder erst in der Produktion entstanden oder auf mangelhafte Teile von Zulieferern zurückzuführen. Und nicht immer sind die Auswirkungen so spektakulär wie die Kippneigung der Mercedes A-Klasse im Extremtest oder die Brandgefahr beim Opel Astra.

Wie vielleicht noch erinnerlich: Opel mußte 1995 am Tankstutzen von 2,3 Millionen Astras eine zusätzliche Schelle anbringen, um elektrostatische Aufladungen beim Tanken zu verhindern, die bei knapp einem Dutzend Fahrzeugen Verpuffungen und Stichflammen ausgelöst hatten. Und weil man schon dabei war, wurden damals bei 1,3 Millionen Fahrzeugen auch gleich die Steckverbindungen der Airbags überprüft.

Dabei ging unter, daß zur gleichen Zeit der Hauptkonkurrent VW Golfs und Jettas überprüfen mußte, weil Probleme an der Heizung dazu führen konnten, daß die Insassen heißes Wasser auf die Füße bekamen.

Die Liste der Pannen ist vielfältig und lang: Erst vor kurzem mußte Audi einen Rückruf für 900 000 Audis starten, da unter bestimmten Umständen die Gefahr besteht, daß sich die Luftsäcke unplanmäßig beim Ein- oder Aussteigen des Fahrers aufblasen. VW verstärkte zunächst die Türen der neuen Golf-IV-Generation und nun auch noch die B-Dachsäule (hinter der Vordertür), um englischen Testkriterien zu genügen.

In der Vergangenheit waren u. a. bei Audi Kindersicherungen an den Türen Anlaß für einen Rückruf, bei BMW waren es Benzindämpfe, bei Ford die Bremsen, bei Mercedes-Benz Motorhauben-Verschlüsse, beim Opel Frontera das Auspuff-Abschirmblech, bei Opel zudem Gurtbefestigungen, bei Fiat Kraftstoffleitungen, beim Range Rover Bremsleitungen und beim neuen Jaguar XK8 Sicherheitsringe am Achsantrieb.

Der Aufwand für solche Ausbesserungsarbeiten geht in die Millionenbeträge, oft zwei-, aber auch dreistellig. Handelt es sich um sicherheitsrelevante Mängel gehen die Hersteller heute sofort in die Öffentlichkeit. Nichts fürchtet die Branche mehr als einen Imageverlust. Die Hemmschwelle für einen Rückruf, stellte denn auch der ADAC fest, ist viel geringer als noch vor ein paar Jahren. Von anderen, meist kleineren Macken ihrer Autos erfahren die Besitzer oft nie etwas, denn die werden während der vorgeschriebenen Fahrzeuginspektionen stillschweigend behoben.

Die Autohersteller begründen die steigende Zahl der Rückrufe mit dem gewachsenen Verantwortungsbewußtsein – was ihnen auch vom Kraftfahrt-Bundesamt bestätigt wird. Für Roswitha Mikulla-Liegert, die Leiterin des ADAC-Verbraucherschutzes, sind sie dagegen ein Hinweis auf nachlassende Qualität. Nicht nur die Qualität der zugelieferten Teile sei unzureichend, auch die Verarbeitung bei den Herstellern sei häufig schlampig, erklärte sie der Süddeutschen Zeitung.

Ein anderes Kapitel sind die konstruktionsbedingten Mängel, die sich durch die drastische Verkürzung der Entwicklungszeiten einschleichen. Mercedes-Benz beispielsweise hat in diesem Jahr u. a. die überarbeitete C-Klasse, das CLK-Coupé und die A- Klasse neu auf den Markt gebracht, in den USA die M-Klasse gestartet und eine ganze Reihe neuer Benzin- und Dieselmotoren zur Serienreife gebracht. Außerdem lief die Produktion des Zweisitzers Smart an und reifen die neue S- und E-Klasse.

Unter dem Zwang, ständig neue Modelle auf den Markt zu bringen, kann es dann zu folgenschweren Vernachlässigungen kommen. Im Falle A-Klasse ist im offiziellen Mercedes-Buch nachzulesen: „Für umfangreiche Grundsatz-Untersuchungen mit verschiedenen Achstypen, die normalerweise bei der Konzeption eines völlig neuen Automobils auf dem Programm stehen, fehlte diesmal die Zeit.“

Qualität geht vor

Daß man sich Zeit nehmen muß, um wegen Qualitätsmängeln nicht noch mehr in Mißkredit zu geraten, haben auch die Opel-Manager erkennen müsen. Sie verschoben die Markteinführung der in den USA produzierten Großraumlimousine Sintra wegen unzureichender Qualität, und auch der neue Astra soll ohne Kinderkrankheiten an den Start gehen – statt ursprünglich im Herbst '97 nun erst im Frühjahr '98. „Qualität vor Quantität“ verspricht auch VW-Chef Piëch.

Er hatte deshalb die Passat-Produktion in der Anlaufphase gedrosselt und die Einführung des Passat Variant verschoben. Und er läßt – wegen der genannten Nachbesserungen – den neuen Golf IV derzeit nur mit der halben geplanten Tagesproduktion anlaufen.

WILFRIED HIERSE

E-Mail

zurück

© Nürnberger Nachrichten