Schräglage bei Mercedes

Auf der Suche nach einem künftigen Spaß- und Erlebnis-Fahrzeugkonzept stießen Daimler-Benz-Forscher an die Schnittstelle zwischen Zwei- und Vierrad. Dynamisch wie ein Motorrad sollte das Fahrzeug sein, offen wie ein Roadster, schnell wie ein Sportwagen und sicher und komfortabel wie ein Kompaktwagen. Nach nur zweieinhalb Jahren war die Idee realisiert: Daimler-Benz konnte die in dieser Form einmalige Dreirad-Studie F 300 Life-Jet auf der diesjährigen IAA präsentieren.

Noch ist der futuristisch anmutende Kabinenroller im Forschungsstadium. Vor den Entwicklern sind jetzt erst einmal die Marktforscher am Zug. Ermitteln sie ausreichende Nachfrage nach dem Dreirad zum Preis eines hochwertigen Motorrades (25 000 bis 30 000 Mark), wird der Daimler-Benz-Vorstand sehr wahrscheinlich grünes Licht geben. Danach werden noch ein paar Jahre vergehen, bis das Gefährt voraussichtlich mit Smart-Label auf die Straße kommen kann.

Das A und O des stromlinienförmigen Zweisitzers ist die an der Vorderachse montierte aktive Wanksteuerung. Dieses blitzschnelle Miteinander von Elektronik, Hydraulik und Mechanik macht auf drei Rädern möglich, was bisher nur mit einem Zweirad realisierbar ist: Bei Kurvenfahrten neigen sich die Räder und Karosserie um maximal 30 Grad zum Kurveninneren. Dadurch wird der Schwerpunkt verlagert, die Kippneigung kompensiert und eine weitaus höhere Kurvengeschwindigkeit als mit dem Auto möglich.

Einen Vorgeschmack auf künftiges Life-Jetten ermöglichte uns Daimler-Benz auf dem Münchner Flughafen: als Beifahrer in dem Show-Car, das demnächst auf der Toyko Motor Show die Japaner begeistern soll, und am Steuer eines unverkleideten Versuchsträgers. Auf dem Rücksitz der Alukabine kommt beschauliche Cruiser-Stimmung auf: man blickt über den Fahrer und schwingt sanft durch die Kurven.

Als Fahrer muß man sich im Life-Jet nur an die sequentielle Schaltung (Gangwechsel in einer Ebene) und an das oben offene Lenkrad gewöhnen. Begleitet vom ungedämpften Arbeitsgeräusch des 1,6-Liter-Motors aus der A-Klasse, der vor dem Hinterrad plaziert ist, und dem Singen der Hydraulikpumpe geht der Versuchsträger zunächst auf die Gerade. Dann eine Lenkbewegung und der Horizont kippt weg.

In Schräglage rollt der Life-Jet-Urtyp durch die erste Kurve, schneller als gewollt, deshalb mit protestierenden (Spezial-)Reifen. Doch keine Angst vorm Kippen, das Dreirad schiebt als stoischer Untersteuerer über die Vorderräder zum Kurvenaußenrand. Langsam bekommt man ein Verhältnis zu Kurvenradius und Geschwindigkeit – und wedelt ein S nach dem anderen auf den Beton. Wie muß das erst sein, wenn das Dreirad perfektioniert und ausgereift ist?

WILFRIED HIERSE

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