„Volkssport“:
Spritklau an Tankstellen

An deutschen Tankstellen wird aufgerüstet. Ohne Videoüberwachung geht es nicht mehr, seit der Spritklau – rechtlich: Unterschlagung – zum Volkssport geworden ist. „Ein- bis zweimal täglich fuhr hier einer nach dem Tanken weg, ohne zu bezahlen“, so der Pächter einer großen Tankstelle. Doch seit eine Videoanlage den Außenbereich überwacht, sei die dreiste Klauerei drastisch zurückgegangen – auf zwei- bis dreimal pro Monat.

Dabei werden die wenigen Autofahrer, die aus Gedankenlosigkeit das Bezahlen vergessen, nicht zu den Dieben gezählt. Sie fahren gleich von der Zapfsäule weg, während die, die vorsätzlich ihren Tank gratis füllen, raffiniert vorgehen. Sie gehen in der Regel nach dem Tanken wie andere Kunden auch in den Shop. Vorzugsweise bei Hochbetrieb, wenn die Autofahrer vor der Kasse Schlange stehen. Dort reihen sie sich aber nicht gleich ein, sondern suchen Schokolade, ein Getränk oder anderen Kleinkram aus. Wenn sie dann beim Bezahlen gefragt werden, an welcher Säule sie getankt haben, verneinen die Benzindiebe frech, überhaupt Kraftstoff gezapft zu haben.

Nach Erkenntnissen des Bundesverbandes des Deutschen Tankstellen- und Garagengewerbes (BTG) suchen sich die Täter mit Vorliebe Stationen aus, bei denen der Tankbereich übersichtlich ist und sich gute Fluchtmöglichkeiten bieten. Betroffen und gefährdet sind immerhin rund 5000 Tankstellen in ganz Deutschland.

Im Durchschnitt beträgt der Verlust pro Diebstahl „nur“ 80 Mark. Doch der Schaden, der den Tankstellenbetreibern durch die „Unterschlagungen“ entsteht, summiert sich auf jährlich rund 16 Millionen Mark. Das ist mehr als das Dreifache dessen, was jährlich bei Raubüberfällen auf Tankstellen erbeutet wird. Dabei müssen sich Benzindiebe kaum vor der Justiz fürchten. Die Staatsanwaltschaften stellen bei Strafanzeigen das Verfahren oft wegen Geringfügigkeit des verursachten Schadens ein.

Hans Rongisch von der Fachzeitschrift tankstelle: „Mit dieser Praxis wird allen potentiellen Spritklauern signalisiert, daß ihr Delikt ohne strafrechtliche Folgen bleibt. Der Diebstahl wird gesellschaftsfähig.“ Um dem, aber auch Überfällen und Einbrüchen entgegenzuwirken, rüsten die Tankstellenbetreiber auf. Rund 40 Prozent aller Tankstellen sind bereits mit Überwachungssystemen ausgestattet – Tendenz: rasch zunehmend.

Die Videoanlagen zeichnen das Geschehen sowohl im Shop mit Kassenbereich als auch im Außenbereich auf. Solche Anlagen sind nicht billig, werden von den Mineralölgesellschaften jedoch zum Teil mitfinanziert. Wer allerdings glaubt, er könne Spritklauer mit billigen Kamera-Attrappen bluffen, hat die Rechnung ohne die ausgebufften Diebe gemacht. Die lassen sich davon nicht abschrecken, weil sie sich die Tankstelleneinrichtungen sehr genau anschauen, bevor sie zur Tat schreiten. bg

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