In den USA geht der Trend
zu mehr Größe und Gewicht

Verkehrte Autowelt: In Europa hat bis zur Jahrtausendwende das Dreiliter-Auto Priorität und werden neue Klein- und Kleinstwagenmodelle an den Start gehen, die Recourcen und Umwelt schonen. In den USA dagegen heißt die Parole mehr denn je: größer, schwerer, stärker. Beweise dafür waren zuhauf auf den Autosalons in Los Angeles und Detroit zu sehen.

Amerikas große Reiselimousinen und Kombis sind zur Zeit buchstäblich in einen Zweifrontenkrieg verwickelt. Sie werden aber nicht etwa durch kleinere, leichtere und dennoch raumökonomisch günstigere Modelle ersetzt. Im Gegenteil: Wer bisher einen großen Kombi fuhr, greift jetzt zum großformatigen Minivan oder zum wuchtigen Geländewagen. Auf der anderen Seite haben die mächtigen Pick-ups eine unglaubliche Konjunktur. Diese Laster für den Hausgebrauch gelten statistisch als Nutzfahrzeuge und unterliegen deshalb nicht den schärferen Abgas- und Verbrauchsvorschriften für Pkw.

Pick-up überholt Limousine

Allein im vergangenen Jahr wurden in den USA 2,2 Millionen Pick-ups von Privatpersonen neu zugelassen. Ähnlich groß ist mittlerweile das jährliche Verkaufsvolumen der (Mini-)Vans, so daß die klassischen Limousinen und Kombis in der Zulassungstatistik bereits in der Minderheit sind. So wurden 1996 von der in den USA meistgekauften Ford-Limousine Taurus rund 400 000 Exemplare erstmalig zugelassen, vom Brutalo-Pick-up Ford F-150 jedoch 760 000!

Kein nordamerikanischer Hersteller, keine noch so noble Marke unter dem Dach von General Motors, Ford und Chrysler kommt ohne die wuchtigen Pick-ups und Geländewagen aus. So hat jetzt auch die Ford-Nobelmarke Lincoln mit dem Navigator einen großformatigen Achtzylinder-Offroader im Programm. Er ist die Luxusausführung des "normalen" Ford-Großkalibers Expedition, der wiederum eine Nummer größer ausfällt als der auch in Deutschland - mit einem 4,0-Liter-Sechszylinder - angebotene Explorer. Selbst die Toyota-Premiummarke Lexus muß mittlerweile diesem Trend Tribut zollen und liefert in die USA eine luxuriöse Lexus-Variante des klassischen LandCruisers für die Kunden, denen eine Lexus-Limousine nicht mehr zeitgemäß erscheint.

Selbstverständlich haben die Geländewagen wie auch die Pick-ups keine halbwegs sparsamen Dieselmotoren unter der Haube, sondern Benzinmotoren mit sechs bis acht Zylindern. Deren Hubräume beginnen selten unter 3,5 Liter und enden in der Regel erst bei knapp sechs Liter. Bei General Motors wurde eine nagelneue Achtzylinder-Motorengeneration ausgestellt, deren vorläufiger Höhepunkt ein 7,4-Liter mit über 300 PS ist.

Angesichts der Leergewichte von knapp zwei bis reichlich zweieinhalb Tonnen konsumieren diese Allrad-Brummer im Alltagsverkehr zwischen 15 und 25 Liter pro 100 Kilometer. Das nicht zuletzt, weil sie eine gewaltige Stirnfläche und mithin miserable Aerodynamik haben, mit Klimaanlage und kräftezehrender Automatik ausgestattet sind und überwiegend zügig über Beton- und Asphaltpisten bewegt werden.

Energiesparen ist kein Thema

Daß der Trend weg vom normalen Pkw hin zu den schwergewichtigen Großraum-, Lifestyle- und Freizeit-Fahrzeugen auf dem größten Automobilmarkt der Welt (170 Millionen Pkw) sich so machtvoll entwickeln konnte, hat nicht nur etwas mit dem veränderten Lebensgefühl der späten 90er Jahre zu tun. Die Zeiten, da Energie knapp zu werden schien, sind vergessen. Für die nachgewachsene Generation ist Energiesparen kein Thema. Wie sollte es auch, wo die Gallone Normalbenzin beispielsweise in der Region Detroit auch heute noch für 1,18 Dollar zu haben ist? Das sind gerade mal 60 Pfennig pro Liter! Unter diesen Umständen ist nicht zu erwarten, daß Europas Vision vom Dreiliter-Auto aus den USA Rückendeckung erfahren wird.
PETER KLINKENBERG

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© Nürnberger Nachrichten 1997