Von Liebe in der Ehe war
lange nicht die Rede

Immer mehr Ehen scheitern heute an den deutlich gestiegenen Erwartungen der Partner                    

VON THILO CASTNER

Kaum eine gesellschaftliche Institution hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte gravierend verändert wie die Ehe. Bis in die Neuzeit hinein galt ja Heiraten als Privileg der Wohlhabenden, denn Leibeigene und Diener benötigten die Zustimmung ihrer Herren, die oft genug verweigert wurde. Zudem war die Ehe bis ins 19. Jahrhundert primär eine Vernunftangelegenheit, quasi ein Pakt zur Absicherung der ökonomischen Interessen. Liebe blieb meistens außen vor.

Wenn schon die Ehe für viele ein Privileg war, so erst recht die Scheidung. Denn die Auflösung einer Ehe wurde gemäß der christlichen Morallehre nur in ganz wenigen Ausnahmen gestattet, und dann ausschließlich den weltlichen Eliten. Für die ärmere Bevölkerung blieb der Spruch "bis daß der Tod euch scheidet" lange unumstößliche Norm. Erst seit der 1977 in Kraft getretenen Familienrechtsreform und der Einführung des Zerrüttungsprinzips kann jedes Paar von sich aus entscheiden, wie lange der "Bund fürs Leben" dauern soll.

Ohne Trauschein

Mit dem Wegfall historischer Hypotheken sind zwar alte Probleme verschwunden, aber neue entstanden. Man kann nun auch ohne Trauschein zusammenleben, muß keine Kinder haben, die Erwerbstätigkeit ist mit dem Partner abzustimmen. Der Münchner Soziologe Ulrich Beck hat die wachsende Individualisierung im Ehe- und Familienleben als "neue Unübersichtlichkeit" bezeichnet, da nun jede Menge von Optionen bestehe, wie man sein Leben zu führen gedenkt.

Ein besonders neuralgischer Punkt in den modernen Ehen ist die soziale Verflechtung. Das früher vorhandene, enge Netz von Verwandschafts- und Nachbarschaftsbeziehungen hat sich gelockert, so daß die Ehepartner von sich aus soziale Bande zu knüpfen haben. Das aber gelingt häufig nicht. Der Religions- und Familiensoziologe Alois Hahn hat darauf aufmerksam gemacht, daß sich junge Eheleute nur selten mühelos aufeinander einstellen und zu einer gemeinsamen praktischen Lebensphilosophie finden können. Auch nach etlichen Jahren der Partnerschaft klebt jeder an seiner frühen biographischen Entwicklung.

Hinzu kommt: Emanzipierte Frauen wollen, daß der Mann in gleicher Weise für Haushalt und Kindererziehung zuständig ist und beanspruchen ein Recht auf Verwirklichung im Beruf. An diesen Erwartungen scheitern zunehmend eheliche Paarbeziehungen. Zuneigung und Liebe reichen nicht aus, die auftretenden Spannungen zu überwinden. Darum fällt außerehelichen Freundschaften eine wachsende Bedeutung zu.

Freundschaften

Ein guter Freund, eine wirklich gute Freundin, kann dazu beitragen, daß auseinanderdriftende Paare ihre Krise überwinden, durch Gespräche, Ratschläge, finanzielle Unterstützung oder eine vorübergehende Einquartierung. Freundschaften erweitern die sozialen Kontakte, können aber auch zu einer Quelle zusätzlicher Verstimmung werden, wenn der Freund zum neuen Partner wird oder die Freundin die Ehefrau verdrängt.

Vor allem Menschen, die ohne Geschwister aufwachsen, sind auf Freundschaften angewiesen. Insa Schöningh hat gezeigt, daß mit der reduzierten Zahl von Geschwistern und der damit verbundenen Verkleinerung verwandschaftlicher Bindungen Freundschaftsbeziehungen zunehmen und die Ehe in Zukunft begleiten werden. Die Fixierung der emotionalen Bedürfnisse auf einen Partner wird deshalb immer seltener und die Ehe als Institution gleichzeitig offener und gefährdeter, da bei großen Enttäuschungen und Krisen ein Seelentröster oder Sexualpartner schnell zur Hand ist. Daß zwei Menschen sich ihr Leben lang genügen, könnte deshalb in Zukunft zur Ausnahmeerscheinung werden.

Insa Schöningh: Ehen und ihre Freundschaften. Niemand heiratet für sich allein. Leske + Budrich Verlag, Opladen 1996, 206 Seiten, 33 Mark.

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© Nürnberger Nachrichten 1997